Gesperrtes Internet: Wie sinnvoll sind die Vorschläge?
Wer dreimal Daten klaut, dem wird der Zugang zum Internet gesperrt. CDU-Rechtspolitiker Siegfried Kauder will so Urheberrechtsverletzungen ahnden und erntet heftige Kritik. Der freie Zugang zu Daten im Netz steht seit Jahren immer wieder zu Diskussion: Internetsperren sollten vor Kinderpornografie schützen, vor politischem Extremismus und illegalem Glücksspiel. Netzaktivisten finden sie sinnlos.
30.09.2011
Von Miriam Bunjes

In etwa acht Wochen soll er kommen, Siegfried Kauders Gesetzentwurf zum Urheberschutz im Internet. Der CDU-Rechtspolitiker will das Three-Strikes-Modell in Deutschland einführen: Wer im Internet Urheberrechte verletzt, bekommt zwei Verwarnungen und wird beim dritten Mal – deshalb Three-Strikes-Modell – mit einer Sperrung des Internetzugangs bestraft. Vielleicht erstmal für ein paar Wochen, schlägt Kauder bei Zeit online vor. In Frankreich gibt es ein solches Gesetz bereits, auch in England steht es auf der politischen Agenda. Fast 500.000 Abmahnungen hat die französische Behörde seit Oktober 2010 verschickt, zu einer Internetsperrung kam es bislang nicht.

"In Deutschland ist ein solches Modell nicht durchsetzbar", sagt Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur), der auch Mitglied der Internetenquete des Bundestages ist. "Das ist ja quasi Sippenhaft, das widerspricht juristischen Grundsätzen." Schließlich informierten sich immer mehr Menschen ausschließlich über das Internet, der freie Zugang hierzu sei somit ein Grundrecht. "Und dann lädt sich der minderjährige Sohn illegal Sachen aus dem Netz und einer ganzen Familie wird die Internetverbindung gekappt? Das widerspricht massiv der Informationsfreiheit", sagt Freude.

Auch das FDP geführte Bundesjustizministerium äußerte bereits verfassungsrechtliche Bedenken und die FDP-Fraktion verwies auf den Koalitionsvertrag, der Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ausschließt. Global gibt es ebenfalls Gegenwind: Der Sonderbeauftragte für Pressefreiheit der Vereinten Nationen verurteilte im Mai derartige Internetsperren als Eingriff in die Informations- und Pressefreiheit und als Verletzung des UN-Zivilpakts.

"Sperren lassen sich technisch umgehen"

Unterschiedliche Sperrpläne werden und wurden aber immer wieder diskutiert. Im April schaffte die Bundesregierung mit dem Zugangserschwerungsgesetz ein besonders umstrittenes Sperrgesetz ab. Mit dem Gesetz sollte Kinderpornografie im Netz bekämpft werden, indem das Bundeskriminalamt Sperrlisten entsprechender Seiten erstellt und die Internetprovider den Zugang auf die Seiten erschweren. Der User sollte statt auf der pornografischen auf einer vom BKA gestalteten STOPP-Seite landen – der Inhalt gesperrt, aber nicht gelöscht sein. Solche Sperrlisten gibt es auch in anderen Länden wie zum Beispiel in Skandinavien und den Niederlanden. "Sperren lassen sich aber technisch umgehen, weil der Inhalt ja noch im Netz steht", nennt Alvar Freude das Hauptargument der Gegner des Gesetzes – die immer mehr wurden, so dass es de facto nie umgesetzt wurde.

"Man erreicht also nichts, was Kinderpornografie angeht, schafft aber eine Infrastruktur der Zensur", fasst Alvar Freude aufgrund des Gesetzes gegründeten AK Zensur die Argumente der Gegner zusammen – denen sich nach der Verabschiedung des Gesetzes auch der damalige Regierungskoalitionspartner SPD anschloss. "Kinderpornografie ist weltweit geächtet und wird überall strafrechtlich verfolgt", sagt Freude. "Diese Inhalte kann man löschen und dann sind sie wirklich nicht mehr abrufbar." Der Softwareentwickler und Netzaktivist hat im vergangenen Jahr die dänische Sperrliste durchgesehen und auf ihre Zweckmäßigkeit gegen Kinderpornografie überprüft. Ergebnis: Von 167 gesperrten Seiten enthielten drei Seiten zum Überprüfungszeitpunkt "Inhalte, die als Kinderpornografie eingestuft werden können".

Die Polizei könnte auch löschen - wie in den USA

"Die anderen Seiten gab es entweder gar nicht mehr oder die Inhalte waren nicht mehr enthalten. Auf der Liste und als polizeiliche Erfolgsbilanz vermerkt waren sie trotzdem", sagt Freude. Dabei: Das Umgehen der Sperren war für die AK Zensur kein Problem, "das ist es für keinen an den Inhalten interessierten", sagt Freude. Und: Innerhalb von 30 Minuten waren zwei der Webseiten, die aus den USA betrieben wurden, gelöscht, drei Stunden später auch die dritte aus den Niederlanden. "Ich habe denen eine Email geschrieben und die Inhalte waren weg. Das hätte die dänische Polizei auch tun können, stattdessen wird der Zugang zu über hundert anderen Seiten sinnlos erschwert."

Nach dem Aus für das Zugangserschwerungsgesetz verschwanden viele Sperrforderungen von den Schreibtischen: Zunächst hatten mehrere konservative Politiker die Ausweitung des Gesetzes auf Killerspiel und Seiten zum Thema Amoklauf gefordert. Der Zentralrat der Sinti und Roma forderte zudem, alle "Hassseiten" zu sperren.

Internetsperren sind auch laut den Rundfunkstaatsverträgen möglich. Für das Internet gelten, sobald es sich um ein irgendwie geartetes Informationsangebot handelt, die Regeln des Journalismus. Beispielsweise ließ die Bezirksregierung Düsseldorf 2001 rechtsextreme Inhalte sperren.
Vor schädlichen Inhalten sollen auch Jugendliche geschützt werden. Geregelt wird dies im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Dessen Novelle ist jedoch zurzeit blockiert – wegen der Netzsperren-Gegner. Die Inhalte aller deutschen Webseiten sollen laut Vertragsentwurf von den Anbietern nach Altersgruppen klassifiziert werden, damit Bibliotheken, Schulen und Eltern individuelle Internetsperren einstellen können. NRW lehnte Ende 2010 den Vertrag ab – es müssen alle Länderparlamente zustimmen.

Wie fällt die Entscheidung beim Glücksspiel aus?

Auch beim Glücksspieländerungsstaatsvertrag gibt es seit über einem Jahr auch über die Internetsperren Streit. In der aktuellsten öffentlichen Version sind Sperren für in Deutschland illegales Online-Glücksspiel möglich: Die zuständige Behörde könne "Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetztes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt" heißt es bisher im Entwurf.

Die Staatssekretäre haben sich aber hinter den Kulissen darauf geeinigt, diesen Satz zu streichen. Das bestätigte der stellvertretende Regierungssprecher der federführenden Staatskanzlei Sachsen-Anhalts, Rainer Metke, gegenüber evangelisch.de. Über den Streichungsvorschlag entscheiden die Ministerpräsidenten der Länder noch im Oktober. Wird der Satz gestrichen, sind die Sperren vom Tisch. Schleswig-Holstein hat Anfang September bereits ein eigenes Glücksspielgesetz verabschiedet – ohne Netzsperren.

"Dinge, die im Netz gesperrt sind, sind nicht weg, sondern nur schlechter sichtbar", sagt Alvar Freude. "Sperren kaschieren Probleme, statt sie zu lösen. Wer online zocken will, kann das auch mit Sperre. Das Gleiche gilt für andere problematische Inhalte." Recherchierende Journalisten würden durch Sperren bei der Arbeit behindert, dadurch kämen Probleme vielleicht später ans Licht. "Das Recht auf Information nutzt der ganzen Gesellschaft", sagt Alvar Freude. Kinderpornografische Webinhalte dagegen gehörten gelöscht, weil sie dann wirklich nicht mehr zugänglich sind. "Weil diese Art Verbrechen auf der ganzen Welt geächtet ist, sind Löschungen juristisch auch kein Problem."


 Miriam Bunjes ist freie Medienjournalistin.