Langer Weg zur Versöhnung mit Namibia
Vor mehr als hundert Jahren ermordeten deutsche Soldaten tausende Einwohner der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Viele Schädel der Getöteten wurden nach Deutschland geschafft. Nun gibt die Berliner Charité 20 von ihnen zurück.
30.09.2011
Von Sandra Ketterer

Die Gebeine stammen von Angehörigen der Stämme Herero und Nama, die Anfang des 20. Jahrhunderts von deutschen Soldaten verfolgt und ermordet wurden. Sie befinden sich in der Sammlung der Uniklinik. Für Donnerstag lud die namibische Botschaft zu einem Gottesdienst zu Ehren der Toten ein.

Die Arbeit muss für die Herero-Frauen unermessliches Leid bedeuten: Gefangen in Konzentrationslagern sind sie gezwungen, mit Glasscherben und kochendem Wasser die Schädel ihrer toten Männer vom Fleisch zu befreien. Diese sind von deutschen Soldaten ermordet worden oder an Krankheiten im Lager gestorben. Nun müssen die Frauen die Schädel für die Reise nach Deutschland präparieren - weil Wissenschaftler sie für ihre dubiose Rassenforschung bestellt haben.

Rückgabe von Schädeln

So geschehen Anfang des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Deutsche Truppen hatten vor allem Angehörige des Stammes der Herero, aber auch der Nama gefangen genommen. Beide Stämme hatten sich zuvor gegen die ungeliebte Kolonialmacht aufgelehnt, waren aber von der deutschen Übermacht brutal niedergeschlagen worden. Diejenigen, die in die Konzentrationslager kamen, starben häufig an Folgen von Zwangsarbeit und Krankheiten.

Viele der Schädel von Angehörigen der Stämme Herero und Nama lagern noch heute in deutschen Museen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Als erste Institution übergibt die Berliner Charité an diesem Freitag 20 von ihnen einer namibischen Delegation. 73 Vertreter von Regierungen, Stämmen und Medien sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes aus dem afrikanischen Land angereist.

Beitrag zur Versöhnung

Vor rund drei Jahren wandte sich die Regierung Namibias an die Bundesregierung. Sie wollte die Rückgabe aller in deutschen Einrichtungen eingelagerten Schädel von getöteten Herero und Nama erreichen. Wissenschaftler fanden nun elf Schädel von Nama-Angehörigen und neun der Herero.

Man wolle einen Beitrag zur Versöhnung leisten, sagt eine Sprecherin der Uni-Klinik. "Heute wissen wir, die Anthropologen haben damals Unrecht begangen, an Lebenden wie Toten. Sie sahen die Menschen als Material", erklärte die Sprecherin.

In der Charité-Sammlung lagern etwa 7.000 Schädel aus der ganzen Welt, teilweise aus der Kolonialzeit, teilweise älter. Als um die Jahrhundertwende die Anthropologie entstanden sei, hätten Forscher die Sammlung angelegt. "Das Interesse war, von allen Völkern der Erde zumindest einen Schädel zu haben, um Merkmale vergleichen zu können", erklärt Andreas Winkelmann, einer der Projektleiter. Viele hätten Belege für Rassentheorien gesucht. Auch hätten die Wissenschaftler geglaubt, viele Völker würden bald aussterben und es sei sinnvoll, etwas von ihnen einzulagern.

"Ihr gebt uns die Schädel, aber wo ist das Fleisch?"

Wie viele der übrigen Schädel aus der Charité-Sammlung noch den Herero und Nama zugeordnet werden können, sei unsicher, sagt Winkelmann, aber "vermutlich noch einmal so viele wie jetzt". Die Arbeit ist mühsam, aber auch die Opferverbände in Namibia legen Wert auf Gründlichkeit. Sie wollen genau wissen, wem die Schädel zuzuordnen sind.

Diese Woche stellten Vertreter von ihnen klar, dass sie mehr als diese 20 Schädel erwarten. Ueriuka Festus Tjikuua von der Opferorganisation "Ovaherero/Ovambanderu - Rat für Dialog über den Genozid von 1904" forderte, die Deutschen sollten alle menschlichen Überreste zurückgeben. "Wir sind gekommen, um Reparationen einzufordern", sagte er. "Ihr gebt uns die Schädel, aber wo ist das Fleisch?"

Namibier fordern Entschuldigung und Entschädigung für Völkermord

Angehörige von Opfern des Völkermords in Namibia fordern von Deutschland eine Entschuldigung und Entschädigung. Mehr als 100 Jahre nach dem Tod von mehr als 75.000 Herero, Nama und anderen Einwohnern im damaligen Deutsch-Südwestafrika müsse die Bundesregierung endlich einen Dialog mit den betroffenen Gruppen beginnen, sagte der Namibier Keriuka Festus Tjikuuna am Dienstag in Berlin.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, "die Bundesregierung hat sich wiederholt zur moralischen und historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia bekannt". Die Regierung komme dieser Verantwortung "auch durch eine verstärkte bilaterale Kooperation - besonders auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia - nach".

Entschädigungsforderungen lehnt die Bundesrepublik bislang ab. Die vom Völkermord betroffenen Volksgruppen unter den 2,3 Millionen Namibiern sollen aber besonders mit Entwicklungshilfe bedacht werden. Für 2009/2010 wurden dem Land insgesamt 125 Millionen Euro zugesagt.

"Niemand übernimmt Verantwortung"

"Bis heute warten die Nachfahren der Opfer auf eine Entschuldigung seitens der Bundesrepublik", sagte Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag. "Bis heute übernimmt niemand Verantwortung". Der in Berlin lebende Afrika-Aktivist Yonas Endrias sagte, die Anerkennung des Völkermords sei der erste Schritt. Bislang leide Deutschland an "kollektiver Amnesie", wenn es um die historische Aufarbeitung der brutalen Kolonialgeschichte im heutigen Namibia gehe.

Gebeine aus Namibia sollen auch in Freiburg lagern. Allerdings sei die eindeutige Identifizierung noch nicht abgeschlossen, heißt es. An der Übergabe der Schädel in Berlin soll am Freitag die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), teilnehmen. Sie ist nach Angaben von Delegationsmitgliedern auch das einzige Mitglied der Bundesregierung, das sich offiziell mit der Delegation trifft. Am Donnerstag ist in Berlin ein Gedenkgottesdienst mit dem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, Zephania Kameeta, geplant.

2004 hattte die damalige deutsche Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) in Namibia an einer Gedenkfeier zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg teilgenommen. Als erstes deutsches Regierungsmitglied hatte sie "im Sinne des gemeinsamen Vaterunser um Vergebung" für deutsche Kolonialverbrechen gebeten.

dpa/epd