Kirchenasyl: "Wenn Not ist, öffnen Gemeinden ihre Türen"
"Was wir getan haben, war nicht legal, aber legitim", sagte Pfarrer i.R. Horst Oberkampf am 9. April 2006 in der Evangelischen Christuskirche in Bad Schussenried. In seiner Predigt sprach er vom Kirchenasyl für die Familie Abdullahad, das fünf Jahre gedauert hatte. "Was wir getan haben, liebe Freunde, war und ist eigentlich nichts Außergewöhnliches, nur das Selbstverständliche, weil es um die Menschlichkeit ging: Wir halfen einer Familie. Mehr taten wir nicht, aber auch nicht weniger!"

Die Geschichten von Kirchenasyl in Deutschland sind bewegend und ermutigend: Da ist die Familie aus Syrien, die nach langem Ausharren doch in Deutschland bleiben darf, die Jugendlichen aus dem Kongo, die beinahe von ihrer Familie getrennt wurden. Die kurdische Familie, die ihre Heimat Erfurt verlassen sollte und in der Kirche Zuflucht und Freunde fand.

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Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, nehmen große Anstrengungen auf sich. Denn die Flüchtlinge dürfen die Kirche, das Pfarrhaus oder Gemeindezentrum nicht verlassen - sie könnten sofort abgeschoben werden. Also müssen Gemeindeglieder für sie einkaufen, Behördengänge erledigen, Ärzte finden, die bereit sind, zu kommen - und während der gesamten Zeit des Asyls zudem auf einen Teil ihrer Gemeinderäume verzichten.

"Für die Gemeinden ist das immer eine Belastung. Aber es wird auf jeden Fall auch immer wieder gesagt, dass es eine große Bereicherung darstellt. Dass die Gemeinde daran wächst", berichtet Bernhard Fricke, Pfarrer und Geschäftsführer der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche". "Viele sind bereit zu helfen, zum Beispiel Wäsche zu waschen. Der Unterstützerkreis wächst, und das kann auch Gemeindeaufbau bedeuten. Gleichzeitig ist es Stress und finanzielle Belastung."

"Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen"

Den Kirchengemeinden geht es darum, "was es eigentlich heißt, Gastfreundschaft zu leben…", sagt Fricke. Der Auftrag dazu findet sich in der Bibel im Alten und im Neuen Testament, so zum Beispiel in 5. Mose 10, Verse 17-18: "Denn der HERR, euer Gott, (…) schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt." Oder im Neuen Testament, Matthäus 25, Vers 35: "Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen." Grundlage ist das Gebote der Nächstenliebe.

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Kirchenasyl, oder vielmehr religiös begründetes Asyl in sakralen Räumen gab es schon zu alttestamentlicher Zeit, schreibt Matthias Morgenstern in seinem Buch "Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland". Tempel waren Orte, an denen keine Gewalt ausgeübt werden durfte, dadurch waren sie sichere Schutzräumen für verfolgte Menschen. Das galt auch im antiken Griechenland, wo das Wort "Asyl" seinen Ursprung hat: Das Rauben von Sachen oder Personen hieß "sylon", die Vorsilbe "a" bedeutet die Verneinung. "Asylon" heißt also wörtlich "nicht beraubt" und bezeichnete den Ort, an dem etwas oder jemand vor Raub sicher war. Auch bei den alten Germanen waren heilige Stätten zugleich Schutzorte – das Prinzip ist aus mehreren Kulturen bekannt.

Im Mittelalter wurden zum Teil konkrete Personenkreise genannt, für die der Sakralschutz gelten sollte: zum Beispiel für Mörder, Ehebrecher oder Diebe – also explizit für Verbrecher. Das Kirchenasyl im Mittelalter beruhte auf der starken Stellung der Kirche. Als die Kräfteverhältnisse sich zu Beginn der Neuzeit verschoben und die Staaten sich als politische und juristische Macht von der Kirche emanzipierten, wurde die staatliche Anerkennung des Kirchenasyls in Europa nach und nach aufgegeben (zuerst in Schweden 1528, zuletzt in Sachsen 1827).

Schärfere Gesetze in Deutschland

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte das Instrument des Kirchenasyls weltweit eine Renaissance. Höhepunkt war das so genannte "Sanctuary Movement" in den USA in den 1980er Jahren: Dort nahmen Kirchen mexikanische Einwanderer auf, die von den Behörden abgelehnt wurden. In Deutschland gilt die Beherbergung einer Gruppe von Palästinensern in einer Berliner Gemeinde im Jahr 1983 als das erste Kirchenasyl der Neuzeit.

Ursache für das Aufleben des Kirchenasyls in Deutschland war das Asylverfahrensgesetz aus dem Jahr 1982, das für Flüchtlinge eine Verschärfung bedeutete. Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland nahmen 1992 in einem gemeinsamen Grundsatzpapier Stellung zur Aufnahme von Flüchtlingen. Darin appellierten sie an Bund, Länder und Kommunen, "eine Asyl- und Flüchtlingspolitik in die Wege zu leiten, die das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte schützt." Doch im darauf folgenden Jahr, 1993, wurde genau dieses Recht in Deutschland eingeschränkt: Wer aus einem so genannten "sicheren Drittstaat" einreist, hat hierzulande kein Recht auf Asyl.

75 Prozent der Kirchenasyle enden erfolgreich

Die Folge: Immer mehr Menschen, die aus Deutschland abgeschoben werden sollen, suchen Schutz in den Kirchen. Die größte Gruppe unter den Flüchtlingen sind laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Kurden aus der Türkei. Stark vertreten sind auch Menschen aus Ex-Jugoslawien, Syrien und Armenien, vereinzelt suchen Afghanen, Iraker, Iraner und Menschen auf Afrika Schutz in einer Kirche. Sie finden diese Möglichkeit in der Regel über eine Beratungsstelle, die dann mit Hilfe ihres lokalen Netzwerkes eine Kirchengemeinde auftut. "Es geht nur zusammen mit Beratungsstellen, weil man Juristen im Hintergrund braucht", ist Fricke überzeugt.

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Kirchenasyl sei sinnvoll "immer dann, wenn man die Idee hat, man könnte über Gespräche, über mehr Zeit und Dokumente eine Lösung finden", sagt Fricke. So dauern manche Aufenthalte in der Kirche oder im Gemeindehaus nur wenige Tage, andere erstrecken sich über Jahre. Die Gemeinden fragen nicht nach Herkunft, Weltanschauung oder Religion. "Wenn Not ist, öffnen Gemeinden ihre Türen", betont Fricke. "Erst dann schaut man, ob es eine vorübergehende Unterbringung wird oder ein Kirchenasyl."

Die gastfreundlichen Gemeinden haben eine recht hohe Erfolgsquote: 75 Prozent aller Fälle führen laut Kirchenpräsident Volker Jung zu einer Neuaufnahme der Verfahren und schließlich zu einer humanitären Lösung. Jung ist Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er wirbt für die Unterstützung der Kirchenasylbewegung.

Ist Kirchenasyl gesetzeswidrig?

Dennoch: Gemeinden, die sich auf ein Kirchenasyl einlassen, bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Ob das Kirchenasyl als gesetzeswidrig eingestuft werden muss, ist umstritten. Doch selbst wenn ein Rechtsbruch vorliegen sollte, könnten die Gemeinden sich auf ihre Religionsfreiheit und damit auf ein Grundrecht berufen. Die Behörden könnten Polizei in Kirchenräume schicken, um abgelehnte Asylbewerber herauszuholen. In den allermeisten Fällen greift die Polizei jedoch nicht ein.

Spektakuläre Fälle wie der aus dem Jahr 1997 im niedersächsischen Dinklage sind die Ausnahme: Dort war eine ukrainische Familie in eine Benediktinerinnenabtei geflüchtet. Die Polizei drang in das Kloster ein und verhaftete den Familienvater. Die übrigen Familienmitglieder konnten nicht abtransportiert werden, weil 20 Nonnen sich auf die Zufahrt setzten und weitere Polizeikräfte stoppten. Später erreichten die Nonnen durch beharrliches Verhandeln sogar die Freilassung des Familienvaters.

Wer als Äbtissin eines Klosters oder Verantwortlicher einer Kirchengemeinde Menschen im Kirchenasyl beherbergt, muss viel Mut aufbringen – erntet aber in der Regel auch Anerkennung. So bedachte die Gottesdienstgemeinde in der katholischen Kirche "Zum Guten Hirten" in Augsburg ihren Pfarrer Siegfried Fleiner im Jahr 1997 mit langem Applaus, als er ankündigte, die Familie Akgüc aus der Türkei werde ab jetzt im Pfarrhaus wohnen. Das Elternehepaar Akgüc blieb fast fünf Jahre. Pfarrer Fleiner bekam für sein Engagement später einen Preis und fasste bei der Verleihung seine Auffassung von christlicher Verantwortung so zusammen: "Widerstand gegen unmenschliche Gesetze muss auch heute noch möglich sein."