"Bibliomulas" werden in Venezuela Maultiere genannt, die Bücher in entlegene Regionen schleppen. In Kenias schleppen Kamele die Bücher. Skandinavier werden sogar per Eisenbahnwaggon und mit Schiffen mit Lesestoff beliefert. "In Deutschland haben wir mehr als 100 Fahrbibliotheken", sagt der Bremer Bibliothekar Matthias Weyh, der im Internet ein überregionales Portal gestaltet. Er leitet Deutschlands neuesten Bücherbus, der Woche für Woche an 21 Haltestellen Lesestoff in die Stadtteile bringt. Motto: "Wir kommen Ihnen entgegen."
In den Regalen locken mehr als 4000 Bücher, Zeitschriften, CDs und DVDs. An diesem Tag parkt Weyh mit seinen Büchern auf Rädern vor der Grundschule in Bremen-Rönnebeck. Kaum öffnet sich zischend die breite Tür ins rollende Leseparadies, stürmt auch schon die Klasse 1a von Lehrerin Alexandra Gischkowsky die Ausleihtheke. "Ganz ruhig - keine Verletzten bitte", ruft mitten im Gedrängel Bibliotheksassistentin Ursula Hornig-Walter, die nun im Akkord neue Ausweise ausstellt.
Mal "Spiegel"-Bestseller, mal "Wickie"
Der sechsjährige Werderfan Jakob greift zielsicher in das Regal mit dem Clubmagazin des Fußball-Bundesligisten, das hier in Bremen natürlich zur Pflichtausstattung des Busses gehört. Aber der Grundschüler interessiert sich auch für Comics und die "Zombie"-Schule. Die Mädchen aus seiner Klasse schmökern lieber "Wickie der Wikinger" oder versinken in die Geschichten von Prinzessinnen und Elfen. Aber auch für Erwachsene werden genug Titel einsortiert, bevor Bibliothekar Weyh den Anlasser startet und mit 290 PS unter der Motorhaube die Bücher zu 21 Haltestellen im Stadtgebiet fährt.
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"Neben der Ausleihe hängt immer eine aktuelle Spiegel-Bestsellerliste", sagt der 41-Jährige. Titel, die darauf verzeichnet sind, finden sich auch an Bord. Was nicht da ist, kann aus dem Bestand der Stadtbibliothek elektronisch vorbestellt und beim nächsten Stopp an der Haltestelle abgeholt werden. "Wir kommen vor allem in die Stadtteile, in denen es keine feste Bibliothek gibt", sagt Weyh. Zu seinen Stammkunden gehören neben Schulen auch Ältere, die nicht mehr so mobil sind.
Den Kommunen fehlt das Geld für klassische Bücherhallen
So ist es auch andernorts. Unter den Flächenländern gilt Schleswig-Holstein als Eldorado der Busbibliotheken. "Wohl schon aufgrund der Nähe zu den skandinavischen Nachbarn, bei denen es besonders viele der fahrbaren Bibliotheken gibt", meint Weyh. Unter den Städten liegt München ganz vorn, hier sind fünf mobile Bibliotheken unterwegs. Doch bundesweit sinkt ihre Zahl seit den 90er Jahren. Schuld ist die schlechte finanzielle Lage der Kommunen, die oft Mittel für ihre Lesesäle kürzen.
"Bibliotheken zählen zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen", sagt Weyh. "Wenn der Rotstift gespitzt wird, sind sie fast immer dabei." Und das, obwohl die öffentlichen Büchereien nach Angaben des Berufsverbandes der Bibliothekare mit allein 120 Millionen Entleihern 2010 zu den meistgenutzten kommunalen Einrichtungen gehörten. Bremen ist da unter den Stadtbibliotheken gleich nach Dresden bundesweit Spitze: "Bei uns wird statistisch gerechnet der gesamte Bestand mehr als sechs Mal pro Jahr ausgeliehen", sagt Direktorin Barbara Lison.
"Kultur darf kein Luxus sein"
Deutschlands erste Fahrbibliothek startete 1925 in Worms, um Dörfer im rheinhessischen Umland zu versorgen. Mittlerweile hat die Idee auch den Sprung nach Mittelamerika geschafft, wo in Nicaragua ein Bücherbus namens "Bertolt Brecht" als Teil der nationalen Alphabetisierung Lesestoff zu Kindern und Erwachsenen chauffiert - unterstützt von der deutschen Hilfsorganisation "pan y arte": "Kultur darf kein Luxus sein, auch nicht in einem armen Land wie Nicaragua", sagt ihr Vorsitzender, Bremens Altbürgermeister Henning Scherf.
Themenorientierte Bücherkisten für Schulklassen etwa zum Herbst, Vorleseaktionen und Flohmärkte ziehen nicht nur in Bremen das Publikum an. Und dass eine fahrbare Bibliothek mit modernem Design inklusive schräger Fachböden und geheimnisvoll beleuchteten Regalfronten begeistern kann, zeigt "Robi" in Heilbronn. Oft mit Lesematten, Sitzwürfeln und -bänken ausgestattet, entsteht an Bord vieler Busse eine ansteckende Schmökeratmosphäre. Für Bibliotheksassistentin Hornig-Walter ist klar: "Wer uns an einer Haltestelle entdeckt und einsteigt, kommt meist mit einem Leseausweis wieder heraus." Und mit einem Bücherstapel im Arm.