Ärger über einen Zaun gegen Obdachlose in Hamburg
Viele Obdachlose schlafen unter Brücken, um sich vor Wind und Regen zu schützen. In der Nähe des Hamburger Hafens geht das jetzt nicht mehr: Ein massiver Stahlzaun umgibt eine "Platte" auf St. Pauli. Die Proteste der Zaungegner kochen hoch.
27.09.2011
Von Julia Ranniko

Die elf leuchtend roten Buchstaben hat die Hamburger Stadtreinigung schnell entsorgt. Das Wort "Ausgrenzung" prangt nun nicht mehr an einem Zaun zwischen der Amüsiermeile Reeperbahn und dem Hafen. Es ist der derzeit umstrittenste Zaun in der Hansestadt - denn er soll Obdachlose davon abhalten, unter einer wind- und regengeschützten Brücke zu schlafen. Den Streit um das Absperrgitter kann das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte jedoch nicht so leicht aus der Welt schaffen wie die Buchstaben: Die Proteste kochen hoch, der Zoff um den Zaun schlägt hohe Wellen.

An diesem Mittwoch befasst sich die Hamburger Bürgerschaft mit dem umstrittenen Zaun im Stadtteil St. Pauli. Linke und GAL (Grüne) wollen sich in einer Aktuellen Stunde für einen raschen Abriss des Zauns einsetzen. Auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll es zudem ein Moderationsverfahren geben. Als Vermittler steht Hans-Peter Strenge bereit, Synodenpräsident der Nordelbischen Kirche.

Jahrelang war die Brücke Aufenthaltsort für Obdachlose. Seit einer Woche steht dort nun der 20 Meter lange, 2,80 Meter hohe und rund 18.000 Euro teure Stahlzaun. Der Sprecher des Bezirksamts, Lars Schmidt-von Koss, begründet den Bau mit vielen Beschwerden über die Szene. Bis zu 40 Obdachlose hätten unter der Brücke "gehaust". Nach seiner Darstellung war es so: Arbeiter beklagten eine "Vermüllung", Touristen bemängelten den "Schandfleck", Passanten fühlten sich bedroht und Anwohner litten unter der "Riesen-Geruchsbelästigung".

"Auch die Beschwerden ernst nehmen"

"Das war für viele ein Angstraum - gefühlt", betont der Sprecher. Man müsse doch auch diejenigen ernst nehmen, die sich dort unwohl gefühlt hätten, sich jetzt aber nicht in die öffentliche Diskussion einmischten: die "Älteren und Schwächeren". "Ohne Beschwerden hätten wir nie einen Zaun gebaut."

Die Zaungegner werfen dem Bezirksamt und dessen Leiter Markus Schreiber (SPD) allerdings gerade vor, dass sie ein Signal gegen die Schwächsten der Gesellschaft setzten. Am Wochenende protestierten zahlreiche Menschen unter dem Motto "Markus Schreiber abschreiben". Die Demonstranten stellten Kerzen und Blumen auf den Asphalt, hängten Protestplakate auf, und an einem Trauerkranz war zu lesen: "Am 19.9.2011 verstarb hier die Hamburger Nächstenliebe."

All diese Symbole hat das Bezirksamt am Montag entfernen lassen - die nächste Eskalationsstufe. "Es ist wie nach jeder Demonstration oder Großveranstaltung: Da wird aufgeräumt", sagt Schmidt-von Koss. Am Montagabend jedoch, nur wenige Stunden nach der Aktion, hängt wieder ein Protestplakat am Zaun. "SPD = Asozial" steht darauf.

Bauliche Maßnahmen blieben wirkungslos

Den Einsatz gegen das Plakat am Protestzaun kann der Sozialarbeiter der Obdachlosenzeitung "Hinz&Kunzt", Stephan Karrenbauer, sogar verstehen: "Es war ja das meistfotografierte Objekt von Touristen am Wochenende in Hamburg - und wer will sich damit schon eine Blöße geben?" Gerade in einer Stadt, die sich gern weltoffen gibt? Die Proteste gegen die "Vertreibungspolitik" des Bezirksamts würden nun eher noch angeheizt, ist der Sozialarbeiter überzeugt.

Karrenbauer hält es für zynisch, kurz vor dem Winter eine viel genutzte "Platte" abzusperren, obwohl es zu wenig Unterkünfte in Hamburg gebe. Bereits Anfang des Jahres waren rund 100.000 Euro in Bauarbeiten an der Brücke geflossen, um die unerwünschten Gäste von dem Schlafplatz fernzuhalten: Die alten Bunker - dort hielten sie sich auf - wurden abgerissen, Wackersteine eingesetzt und ein Bachlauf angelegt. Dennoch kamen die Obdachlosen wieder. "Die insgesamt 118.000 Euro Steuergeld hätte man besser in neue Unterkünfte investieren sollen, statt Obdachlose zu verscheuchen", meint Karrenbauer.

"Hilfe statt Zaun" gefordert

Mit seiner Kritik weiß er etwa den Caritasverband und das Diakonische Werk in Hamburg auf seiner Seite. Und auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) fordert kurz und knapp: "Hilfe statt Zaun!" Die Hamburger Sozialbehörde dagegen hat sich bisher nicht geäußert - das sei Sache des Bezirks, hieß es lediglich.

"Hinz&Kunzt"-Chefredakteurin Birgit Müller betont, der Zaun sei nicht nur ein Symbol für die Ausgrenzung von Obdachlosen. "Er zeigt, dass Menschen weit an den Rand gedrängt werden - zum Beispiel mit immer höheren Mieten. Viele tragen es nicht mehr mit, dass Hamburg als reiche Stadt nur noch für Reiche zugänglich sein soll."

Der Senat, der sich auf eine absolute SPD-Mehrheit in der Bürgerschaft stützt, verweist seinerseits auf das ehrgeizige Projekt des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, pro Jahr 6000 neue Wohnungen in Hamburg entstehen zu lassen – als bewussten Kontrapunkt zur von der langjährigen CDU-Regierung unter Ole von Beust nahezu auf Null zurückgefahrenen Wohnungsbauförderung. Gerade das Problem der vielfach beklagten Verdrängung von Menschen mit niedrigerem Einkommen liege Scholz besonders am Herzen, heißt es.

Trotz aller Proteste will überdies das Bezirksamt am "Zaun des Anstoßes" ("Welt am Sonntag") nahe der besonders bei Touristen beliebten Landungsbrücken nicht rütteln. "Er wird nicht abgebaut", sagt Schmidt-von Koss. Sondern stabiler gemacht: Die Zaunelemente sollen verschweißt werden, damit Demonstranten Schrauben nicht mehr lockern können. Neben das Absperrgitter wollte das Bezirksamt am Dienstag Schilder am Zaun aufstellen - mit Anlaufstellen für Obdachlose.

dpa/thö