Für Riccardo M Sahiti, 1961 in Kosovska Mitrovica im damaligen Jugoslawien als siebtes von acht Kindern einer Roma-Familie geboren, war es wie im Traum. "Ich bin überglücklich", strahlte der Dirigent der Sinti und Roma Philharmoniker. "Es war eine große Ehre für uns, in der Stadt Beethovens auftreten zu dürfen." Seit einem Jahrzehnt arbeitet der in Frankfurt lebende Vollblutmusiker an der Verwirklichung seiner Vision, mit einem Orchester von sinfonischem Zuschnitt jenen Kompositionen eine öffentliche Bühne zu schaffen, die in der Musikkultur der Roma verankert sind. Dann traten sie in Bonn auf.
Romani Rose, Schirmherr der "Liszt-Nacht" beim Internationalen Beethovenfest Bonn und Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, meinte sichtlich bewegt: "Was wir in der Beethovenhalle erleben durften ist so etwas wie ein Ritterschlag für die Musiker. "Übertrieben? Wohl nicht. Der erste Auftritt der anfänglich als Kammerorchester existierenden Philharmoniker, die sich aus Musikern professioneller Orchester in Deutschland, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Österreich rekrutieren, dürfte der Anfang einer Reise sein, die zu einer Wieder- und Neuentdeckung elementarer Wurzeln der europäischen Kulturgeschichte führen könnte. Und Interesse wecken an einem Kapitel jenseits aller Klischees, die sich gemeinhin mit dem Begriff der "Zigeunermusik" verknüpfen.
Die Wiege, wenn man den Begriff mag, die "Heimat", wie es die Bonner Festivaldramaturgie benannte, dieses Kulturerbes liegt im heutigen Ungarn. Weit vor der Neuzeit entwickelte sich dort eine archaische Volksmusik. Charakteristisch für sie sind Fünf- oder Siebentonreihen, abrupt wechselnde Takt- und Zeitmaße und weitere eigenwillige Stilelemente. Auf der Grundlage dieser eigenen Tonsprache entstanden beispielsweise schwermütig-leidenschaftliche Lieder und Tänze, so der Csárdás. Zigeuner adaptierten diesen Stil unter Verwendung einer eigenen Tonleiter in ihrer Art zu musizieren und machten diese von der Barockzeit an im Westen bekannt.
Haydn, Mozart, Brahms - sie griffen auf "Zigeunerweisen" zurück
Komponisten griffen die "Zigeunerweisen" auf, die Zigeunerkapellen in den Cafés von Wien und Budapest zu einem eigenen Genre stilisiert hatten, und übernahmen Stilelemente der ungarischen Volksmusik in ihre Werke. Kompositionen "alla zingarese" sind bereits bei Telemann nachweisbar. Sie finden sich später bei Haydn, Mozart, Brahms, Beethoven, de Falla und Sarasate. Liszt arbeitete sich komponierend in seinen "ungarischen Rhapsodien" an einem Bild "ungarischer Nationalmusik" auf der Basis von Materialien ab, die er auf seinen Reisen durch Ungarn und Rumänien aufgezeichnet hatte. Bela Bartok und Kodály erforschten systematisch – Archäologen gleich – die Volksmusik ihrer ungarischen Heimat. Der "Verbunkos"-Stil der Zigeunerkapellen etwa faszinierte Kodály ("Tänze aus Galánta") und jetzt auch das Bonner Publikum. Es ist ein Bewerbungstanz mit langsamer Einleitung und einem furiosen Finale. Zahlreiche Opernkomponisten von Bizet bis Verdi ließen sich "alla hungarese" inspirieren. "Mehr als 80 Opern", unterstreicht Sahiti, "sind von der Zigeunermusik beeinflusst."
Der ungarische Dirigent Ivan Fischer betonte bei einer Diskussion im Rahmen des Beethovenfestivals, die Musik der Zigeuner habe nicht nur die ungarische Kultur bereichert. "Sie stellt eine ganz große Leistung für das heutige Europa dar, die aus unserem gemeinsamen Kulturkanon nicht wegzudenken ist." Doch ist sie uns überhaupt hinreichend bewusst? "Zigeunermusiken" werden weithin mit Virtuosen auf der Violine, sogenannten "Teufelsgeigern", assoziiert. Oder mit Balkan Brass, dessen Kraft und Originalität beim Bonner Konzert die Fanfare Cioc?rlia aus Rumänien mitreißend demonstrierte. Vielleicht noch mit Anfängen und Entwicklungen im Jazz, für die ein Django Reinhardt steht.
Auf die Perspektiven der Roma und Sinti Philharmoniker angesprochen, sagt Sahiti, es gebe "viel zu tun". Was so etwas wie ein charmantes Understatement ist. Denn sein Projekt steht für nichts weniger als die Hoffnung, Brücken zu einem europaweiten Bewusstsein dafür zu bauen, dass die in all ihren Facetten zu verstehende und zu reaktivierende "Zigeunermusik" jenseits der Klischees und Kolportagen unauflöslicher Teil des Kulturerbes unseres Kontinents ist. Dafür, sagt Sahiti, brauche es mehr Wahrnehmung, mehr Konzerte und vor allem Unterstützung, die über die des Zentralrats der Sinti und Roma hinausreicht. Sein Wunsch: die Anerkennung und Förderung des Projekts als ständige Einrichtung durch den deutschen Staat, durch die EU.
Ausgrenzung der Roma soll beendet werden
Eine Utopie dürfte dies nicht sein. In Brüssel wie in einigen europäischen Mitgliedsstaaten ist die Einsicht gewachsen, dass das Engagement für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensverhältnisse der Roma in Europa intensiviert werden muss. Die Jahrhunderte währende Ausgrenzung der Roma, die bis in die Konzentrationslager von Hitler-Deutschland führte, soll durch ernsthafte Prozesse der Integration überwunden werden.
In Sahitis Projekt ist diese Perspektive, die gezielte Aktion gegen Entwürdigung und Diskriminierung, angelegt. "Sinti und Roma haben der Menschheit viel gegeben", meint er, "aber sie haben davon nur sehr wenig zurückbekommen." Ein starkes Signal öffentlicher Aufmerksamkeit verspricht sich Sahiti von der Uraufführung eines Requiems, das der Sinto Roger Moreno-Rathgeb komponiert und "allen in Auschwitz gestorbenen Menschen" zugedacht hat. Es soll im kommenden Jahr von den Roma und Sinti Philharmonikern in Amsterdam uraufgeführt und anschließend auch in Frankfurt zu erleben sein.