Der Panzerpapst und die neue ökumenische Nüchternheit
Der Papst hat in seiner deutschen Heimat kräftig ausgeteilt. Den Protestanten trieb er die Hoffnung auf Annäherung aus, den Chef der katholischen Bischofskonferenz düpierte er, dem kirchlichen Verbandswesen attestierte er Geistmangel. Am Ende stellte er noch das Verhältnis von Staat und Kirche in Frage. Benedikt XVI. ist zwar ein hinfälliger Mann, zeigt aber klare Kante.
25.09.2011
Von Bernd Buchner

Papst Benedikt XVI. hat Deutschland in Atem gehalten. Die öffentliche Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik war in den zurückliegenden vier Tagen vollkommen auf den Staatsbesuch des römischen Pontifex in seiner Heimat gerichtet. Der Papst hat im Parlament eine Rede gehalten, mit Bundespräsident und Kanzlerin geplaudert, im Berliner Olympiastadion und andernorts große Gottesdienste gefeiert, das versammelte Bundesverfassungsgericht und Altkanzler Helmut Kohl getroffen sowie mit Protestanten, Orthodoxen, Juden und Muslimen gesprochen.

Das ist viel für einen 84-jährigen Mann. Die Erschöpfung war Joseph Ratzinger mehr als deutlich anzusehen. Nun ist er zurück in Rom und wird sich erst einmal ausruhen.

Starke Geste für Luther

Währenddessen hat die Exegese längst begonnen. Was bleibt? Auch wer seine Erwartungen an den Besuch und aus ökumenischer Sicht vor allem an das Erfurter Treffen mit Spitzenvertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nicht künstlich hochgeschraubt hatte, musste doch ernüchtert werden. Zwar lobte Benedikt XVI. ausdrücklich den Gottsucher Martin Luther – eine starke Geste. Anschließend aber wies er die Hoffnung auf etwaige päpstliche "Gastgeschenke" schroff zurück. Gemeint war die im Vorfeld geäußerte Erwartung, die katholische Seite würde sich etwa in der Frage des gemeinsamen Abendmahls für konfessionsverbindende Ehepartner beweglich zeigen.

Diese Schroffheit wurde durch diplomatisches Ungeschick verstärkt. Während das Lutherlob hinter verschlossenen Türen erfolgte, in einer Begegnung mit Vertretern des EKD-Rates, bei der nur zu Beginn Kameras zugelassen waren, wurde das "Njet" des Papstes zu Gastgeschenken live im Fernsehen übertragen – im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes, bei dem Ratschef Nikolaus Schneider und Benedikt XVI., meterweit voneinander entfernt am Altar sitzend, die Distanz der Konfessionen drastisch versinnbildlichten.

Kein Sterbenswörtchen verlor der Papst zu den drängenden Fragen im evangelisch-katholischen Dialog, etwa zum Amtsverständnis oder zur Eucharistie. Beide Fragen hängen eng zusammen; gerade bei der Apostolizität gab es jüngst deutliche Fortschritte. Ein Fingerzeig des hervorragenden Theologen Joseph Ratzinger zu diesen schwierigen Fragen, selbst ein skeptischer, wäre hilfreich gewesen. Das Erfurter Schweigen des Papstes fiel umso mehr auf, als er einen Tag später in Freiburg die Gemeinsamkeiten mit den Orthodoxen rühmte – und die Hoffnung auf ein baldiges gemeinsames Abendmahl aussprach. Benedikt XVI. bleibt seiner Linie treu, in der Ökumene eher die Ostkirchen im Blick zu haben.

Diplomatischer Sieg des Vatikan

Und Luther? Synodenpräses Katrin Göring-Eckardt verwies zwar zu Recht darauf, der Papst habe "ganzen Weg" des Reformators gewürdigt – das bezog sich aber lediglich auf die Frage nach dem gnädigen Gott, die auch die Katholiken umtreibt. Erfurt ist im Übrigen alles andere als ein Ort der Reformation: Luther, der hier 1505 ins Kloster der Augustiner-Eremiten eintrat und bis 1511 blieb, war in diesen Jahren päpstlicher als der damalige Papst. Es war also ein diplomatischer Sieg des Vatikan, das Treffen Benedikts XVI. mit den Protestanten ausgerechnet in Erfurt stattfinden zu lassen.

Die Absage an die "Gastgeschenke" war im Übrigen nicht nur eine ökumenische Ohrfeige. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, musste sich düpiert fühlen. Bei der Pressekonferenz nach dem Erfurter Wortgottesdienst war ihm das deutlich anzumerken. Zollitsch hatte in einem "Zeit"-Interview kurz vor dem Besuch betont, wie drängend die Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene sei. Die Antwort des Papstes war deutlich. In Freiburg selbst schien er sich gar über den "oberwürdigsten Erzbischof" lustig zu machen, der ihn so bedrängt habe, "dass ich am Schluss sagen musste: Nach Freiburg muss ich wirklich kommen".

Der Papst kann kräftig austeilen, das hat der Deutschlandbesuch gezeigt. Auch dem katholischen Verbandswesen, auf das die Kirche im Land der Reformation zu Recht stolz sein kann, gab er eins mit. Im Gespräch mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) monierte er einen "Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist", beim Freiburger Sonntagsgottesdienst wetterte Benedikt XVI. gegen "kirchliche Routiniers", die in der Kirche nur noch den Apparat sähen, ohne dass ihr Herz vom Glauben berührt werde. Hat der Papst da über Deutschland gesprochen oder über den Vatikan, der seine ummauerte klerikale Weltsicht mit Mühe ins 21. Jahrhundert gerettet hat?

Der katholische Elefant

Als Joseph Ratzinger vor sechs Jahren Papst wurde, hat man gesagt, der Chef der römischen Glaubenskongregation, einst Inquisition, werde sich nun vom streng-strafenden Lehrer in den gütigen Vater der katholischen Kirche verwandeln. Das hat er in bestimmtem Rahmen getan. Doch auch ein Vater schlägt manchmal zu, das haben die vier Tage in Berlin, Thüringen und Freiburg gezeigt. Der einstige "Panzerkardinal" hat sich auch im Papstamt sein dickes Fell bewahrt, um allem zu widerstehen, was er dem Zeitgeist und der "Diktatur des Relativismus" zuschreibt. Benedikt XVI. ist der Prototyp des katholischen Elefanten, wie ihn der Theologe Johann Baptist Metz beschrieben hat. Er hat das Gedächtnis des großen, grauen Tiers, ihm ist die ganze Last und Leidenschaft einer zweitausendjährigen Kirchengeschichte anzusehen.

Deutschland ist aber, das ließ der Papst bei seinem Besuch unbedacht, kein Porzellanladen. Die ökumenische Bewegung hat hier eine besondere Bedeutung. Sie hat in den mehr als hundert Jahren ihres Bestehens viele Phasen durchlebt, nun beginnt wohl endgültig das Zeitalter der Nüchternheit. Die Visite von Benedikt XVI. in seiner Heimat könnte insofern eine Zäsur sein. Die zentralen Fragen werden noch Jahrzehnte ungeklärt bleiben, wenn sie überhaupt je gelöst werden. Eine Politik der kleinen Schritte ist angesagt. Der nächste steht 2017 an. Das 500-jährige Reformationsgedenken ist eine Chance für Protestanten wie für Katholiken. 


 Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.