Benedikt fragt: "Wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott?"
Freundlicher Empfang für den Papst in Ostdeutschland: War Benedikt XVI. in Berlin durch eine leere Geisterstadt ins Schloss Bellevue gefahren, säumten in Erfurt am nächsten Tag neugierige und fröhliche Bürger die Straßen. Trotz höchster Sicherheitsstufe, die das Öffnen der Fenster beim Vorbeifahren des päpstlichen Konvois unterbinden sollte, winkten viele aus ihren Wohnungen und von ihren Balkons dem offenbar willkommenen Gast zu.
23.09.2011
Von Bettina Gabbe

Zum ökumenischen Gottesdienst zog Benedikt am Freitagmittag gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, bei tosender Orgelmusik in die Kirche des ehemaligen Augustinerkonvents ein. An dem Ort, an dem Martin Luther (1483-1546) seine ersten Gottesdienste gefeiert hatte, betete Benedikt mit bewegter Stimme für die Einheit der Christen.

Über die konfessionellen Grenzen hinweg bekannte der Papst in Luthers Augustinerkonvent, das sein Besuch an diesem Ort für ihn ein "bewegender Augenblick" sei und würdigte den Reformator als wahren Gottsucher. "Wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott - diese brennende Frage Martin Luthers muss wieder neu auch unsere Frage werden", sagte Benedikt an Katholiken und Protestanten gleichermaßen gewandt. Theologie sei für den Reformator keine akademische Frage gewesen, sondern "tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens".

Den Erwartungen derjenigen, die neben der Würdigung des Reformators und dem symbolträchtigen Besuch ein "ökumenisches Gastgeschenk" erwartet hatten, erteilte der Papst indes eine Absage. Für Katholiken ungewohnt war er bei seinem gemeinsamen Einzug in die protestantische Kirche nicht mit "Viva il Papa"-Rufen und Klatschen begrüßt worden. Protestantischer Schlichtheit entsprachen nicht nur die fast bilderlosen Wände der gotischen Kirche, sondern auch die zurückhaltende Art, den römischen Gast willkommen zu heißen. Die Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Christian Wulff verlieh derweil dem historischen Besuch besonderen Nachdruck.

Kein Geschenk, aber eine brüderliche Umarmung

Beim Gottesdienst saßen Benedikt und der EKD-Ratsvorsitzende Schneider weit voneinander entfernt vor dem Altar, für manchen ein Zeichen der Distanz, die trotz der Beteuerungen herrscht, nach denen es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes zwischen den Kirchen gibt. Das Trennende betonte der Papst am Ende seiner Predigt allerdings in der für ihn typisch deutlichen Weise: Ein "ökumenisches Gastgeschenk" habe er nicht mitgebracht, wer ein solches erwartet hatte, sei Opfer eines politischen Missverständnisses, erklärte der Papst. Glaubensinhalte seien nicht zu verhandeln, wie dies vor Staatsbesuchen geschehe. Nach seiner mit leiser eindringlicher Stimme gehaltenen Predigt kam es über die Trennungen hinweg zu einer brüderlichen Umarmung zwischen Benedikt und Schneider.

In der ostdeutschen Diaspora, in der Christen beider Konfessionen mittlerweile in der Minderheit sind, machte die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, jenseits der Ökumene-Erwartungen an den Papst die Bedeutung seines Besuchs für die Christen der Region deutlich. Mit einer Visite ehre er zugleich die Gläubigen, die Luthers Forderung gefolgt seien, nach der "ein Christmensch ein freier Herr über alle Dinge" ist. Luthers Wort sei den Christen in der DDR ein "kämpferisches, ein stärkendes Wort" gewesen, rief sie dem Papst und den anwesenden Gästen in der Kirche zu.

epd