TV-Tipp des Tages: "Die letzte Spur" (Sat.1)
Ein Mädchen verschwindet spurlos, die Eltern kommen um vor Sorge, die Polizei ermittelt. Wenn der Film scheinbar zu Ende ist, dauert er weitere dreißig Minuten. In diesem zusätzlichen Akt wandelt sich die Handlung vom Drama zum Krimi.
23.09.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Die letzte Spur", 27. September, 20.15 Uhr auf Sat.1

Ein Mädchen verschwindet spurlos, die Eltern kommen fast um vor Sorge, die Polizei ermittelt: Man kennt den Handlungskern dieses Films aus vielen Krimis und Familiendramen. Und doch ist dem Wiener Andreas Prochaska mit der deutsch-österreichischen Koproduktion "Die letzte Spur" ein ganz besonderes Werk gelungen. Das hat mit der Dramaturgie zu tun (das Drehbuch stammt von Prochaska und Agnes Puch), mit der konzentrierten Inszenierung, mit den vorzüglichen Leistungen der Schauspieler. Aber vor allem mit einer bemerkenswerten Entscheidung des Senders: Wenn der Film scheinbar zu Ende ist, dauert er weitere dreißig Minuten. In diesem zusätzlichen Akt wandelt sich die Handlung vom Drama zum Krimi.

Ein überraschend zeitlicher Bonus

Die Länge von über zwei Stunden ist durchaus ungewöhnlich und in der Regel so genannten Event-Movies vorbehalten. Hier sorgt sie nicht nur für einen überraschenden zeitlichen Bonus; Buch und Regie nutzen die zusätzliche halbe Stunde, um Handlung und Hauptfiguren zu einer für Fernsehfilme ungewöhnlichen Tiefe zu verhelfen. Trotz Überlänge wirkt "Die letzte Spur" nie gestreckt, was naturgemäß auch an dem tiefen Mitgefühl liegt, das man für Alfred und Anna Walch empfindet, als ihre Tochter Alexandra im österreichischen Städtchen Krems nicht vom Sommerfest heimkehrt. Sieht man mal davon ab, dass die 16jährige "Aleks" nicht ganz das brave Mädchen war, für das ihre Eltern sie hielten, erzählen Pluch und Prochaska eine für Fernsehmaßstäbe ganz normale Geschichte. Aber sie nehmen sie ernst; und sie erzählen vorwiegend aus Sicht von Alfred und Anna.

Deshalb sind Verzweiflung und Ohnmacht hier auch keine Gefühle, die von Polizisten mehr oder weniger routiniert zur Kenntnis genommen werden. Sie bilden vielmehr das emotionale Zentrum des Films. Richy Müller und Ann-Kathrin Kramer verkörpern den Schmerz der Eltern und ihre Angst vor der Ungewissheit mit großer Empathie. Die Gefühlsäußerungen wirken nie aufgesetzt oder übertrieben, nie gespielt. Ähnlich beeindruckend ist die junge Emilia Schüle ("Freche Mächen", "Gangs"), die längst mehr als bloß ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent ist. Die junge Schauspielerin hat zu Beginn nur wenig Zeit, um Aleks im Zuschauergedächtnis zu verankern, macht das aber ausgezeichnet: ein entzückendes junges Mädchen, das seinen Vater um den Finger wickelt. Entsprechend groß ist die Fallhöhe, als sich nach und nach Alexandras dunkle Seiten rausstellen. Unter anderem hatte sie eine Affäre mit einem ihrer Lehrer.

Der Film schildert zwar auch die Nachforschungen der Polizei (Hary Prinz, Julia Koschitz), konzentriert sich aber vor allem auf den Vater, der nicht tatenlos zu Hause rumsitzen will. Tatsächlich findet er noch vor den Sonderermittlern heraus, dass eine Prostituierte etwas über Alexandras Verschwinden erzählen könnte; aber bevor sie dazu kommt, wird sie ermordet. Ein Film, der in seinen emotionalsten Momente keine großen Worte macht, sondern sich ganz auf die Schauspieler verlässt und dadurch um so ergreifender ist. 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).