"Ich habe es dir nie erzählt", 26. September, 20.15 Uhr im Zweiten
Für trockene Trinker ist der Alkohol wie ein Dämon, der sie permanent in Versuchung führt. Deshalb ergreift Hausmeister Andi in diesem Drama auch unerwartet die Flucht, als er sieht, wie eine Spaghettisauce mit Rotwein verfeinert wird. Es sind vor allem Momente wie dieser, die viele Szenen des Drehbuchs von Britta Stöckle (zuletzt "Mein eigen Fleisch und Blut") so authentisch wirken lassen. Deshalb akzeptiert man auch das Verhalten der Figuren: weil sie in sich stimmig sind. Gegenentwurf zu Andi ist Gerichtsvollzieherin Carla, die seit 14 Jahren mit einer Lüge lebt und sich quasi bestraft, indem sie in den restlichen Bereichen des Lebens Perfektion anstrebt.
Nur hintergründig ein Liebesfilm
Endgültig glaubwürdig werden Carla und Andi durch die Leistung der beiden Hauptdarsteller. Barbara Auer und Roeland Wiesnekker spielen ein Liebespaar, das sich die Liebe nicht gesteht; was vor allem an Carla liegt, die sich nicht traut, ihren Gefühlen zu trauen. Schon allein die Konstellation dieses Paares ist sehenswert. Aber "Ich habe es dir nie erzählt" ist allenfalls hintergründig ein Liebesfilm. In erster Linie präsentieren Stöckle und Regisseur Johannes Fabrick ein doppeltes Drama, in dem Andi zur tragischen Figur wird: Schon geraume Zeit streitet sich der einstige Software-Verkäufer, neuerdings Hausmeister an der Schule von Carlas Tochter Eva, mit seiner Ex-Frau um die gemeinsame Tochter.
Veronika (Miranda Leonhardt) wartet nur auf einen Anlass, um ihm das gemeinsame Sorgerecht entziehen zu lassen. Als er Carla kennen lernt, wächst in ihm die zaghafte Hoffnung auf ein neues Glück. Doch dann macht ausgerechnet Eva (Irina Kurbanova) diese Hoffnung zunichte: Sie erzählt Carla, Andi trinke wieder. Als ein Kollege ausfällt, muss Carla einen Gerichtsbeschluss umsetzen und Andi die geliebte Tochter wegnehmen.
Die Geschichte ist herzzerreißend. Der Österreicher Fabrick, als Regisseur ohnehin nicht für unnötige Dramatisierungen bekannt, gewährt den Gefühlen den notwendigen Spielraum, treibt die Emotionen aber nicht auf die Spitze. Sein Interesse gilt vielmehr der Frage, wie die Figuren aus ihrem jeweiligen Dilemma herausfinden, schließlich ist die gleichfalls geschiedene Carla ihrem Ex-Mann (Hansa Czypionka) noch eine Wahrheit schuldig, die genauso alt ist wie die gemeinsame Tochter. Stöckle verkneift sich jedoch entsprechende Spekulationen und überlässt es dem Zuschauer, sich das Verhalten des Mädchens zu erklären, das in seiner Klasse eine Außenseiterin ist und Carla bestiehlt.
Eine schöne Idee ist es auch, dass sich das Paar beim gemeinsamen Musizieren kennen lernt; auf diese Weise können die Instrumente bereits musikalisch miteinander flirten, bevor Andi (Gitarre) und Carla (Bandoneon) überhaupt miteinander geredet haben. Und die für ein Drama überraschend agile Kamera (Helmut Pirnat) sorgt dafür, dass die Erzählperspektive auch mal mitten in einer Einstellung wechselt. Ein intensives Drama, das verdeutlicht: Wer ein neues Leben anfangen will, muss erst mal sein altes ordnen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).