Was macht Griechenland ohne den Euro?
Seit Wochen ist Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Euro-Rettung unterwegs, heftig wirbt sie um Zustimmung zur Rettung Griechenlands am Donnerstag. Was wäre die Alternative? Was würde passieren, wenn Europa die Griechen hängen ließe und das Land vom Euro wieder auf die Drachme umsteigen müsste? Der Preis für einen Rausschmiss aus der Eurozone wäre hoch - auch für Deutschland. Ein Planspiel.
23.09.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Acht Stunden benötigte das griechische Kabinett am 21. September 2011, um den Forderungen der "Troika" aus Europäischer Union, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds nachzukommen. 30.000 Staatsbedienstete werden entlassen und in eine "Arbeitsreserve" versetzt. Dort erhalten sie für eine Frist weniger als zwei Drittel ihres bisherigen Grundgehalts. Alle Renten über 1.200 Euro werden um 20 Prozent gekürzt, Frührentner kriegen bis zu 40 Prozent weniger. Zudem wird der Steuerfreibetrag gesenkt, Subventionen für Heizöl gestrichen und Griechen müssen für ihr Häusle eine Sondersteuer entrichten.

Nach Regierungsangaben summiert sich dieses Streichpaket auf gerade mal 3 Milliarden Euro - die gesamten Schulden des griechischen Staates betragen allerdings weit über 300 Milliarden Euro. Das Zahlenverhältnis von 3:300 lässt ahnen, wie groß die Probleme sind. Sie wären noch größer, wenn Hellas aus Euroland rausfliegt oder wenn sich die konservative Opposition im Parlament und die Protestanten auf den Straßen durchsetzten, und Athen sich "freiwillig" aus dem Euro verabschiedet.

Ein Szenario: Griechenland ohne Geld

Der Crash erschüttert Europa. Wir schreiben den 15. Oktober 2011. An diesem Stichtag weigert sich die Troika, Griechenland weitere Milliarden zu pumpen. Die überraschende Absage nach all den Treueschwüren von Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy stürzt den Alltag ins Chaos. Es fehlt an Bargeld. Tausende Menschen in Athen, Thessaloniki und auf Kreta stürmen Bankfilialen. Alle Kreditinstitute weigern sich, Sparguthaben und Girokonten in Euro auszuzahlen. Es gibt aber auch kein neues Geld. Georgios Provopoulos bittet seine Landsleute in einer dramatischen Fernsehansprache um Geduld. Es werde Wochen dauern, bis die neue Drachme eingeführt werden könne. "Tauschen ist des Gebot der Not", empfiehlt der Chef der Zentralbank von Griechenland dem erschrockenen TV-Publikum.

Wer noch Euro zur Hand hat, gibt sie nicht aus. Der Geschäftsverkehr bricht zusammen, der Schwarzmarkt mit Naturalien blüht, wohlhabende Griechen fliehen ihrem Geld in der Schweiz und Luxemburg hinterher. Bäckereien und Supermärkte schließen. Auch der Staat schließt seine Schalter: Kein befreundeter Staat, kein IWF, erst recht keine private Bank leiht der sozialdemokratischen Regierung Giorgios Papandreous auch nur einen Euro. Sofort klafft ein Loch bei den Ausgaben von etwa zehn Prozent. "Genaue Zahlen kennen wir auch nicht", gibt ein Sprecher des Finanzministers auf Anfrage von evangelisch.de resigniert zu.

Die Regierung entschließt sich, alle Angestellten auf die Straße zu setzen, um wenigstens Renten und Sozialhilfen weiter auszahlen zu können. Da aber die Wirtschaft im Binnenland und der Hauptstadt still steht, jeder Geldverkehr ruht, fließen auch keinerlei Steuereinnahmen in die Kassen der Regierung. Ministerpräsident Papandreou ruft den Notstand aus und verhängt nächtliche Ausgangssperren. Die Botschaften der Euroländer veranlassen die Evakuierung ihrer Staatsbürger. Auch die Bundeswehr fliegt Urlauber aus Deutschland nach Berlin zurück.

Hellas-Pleite im Café "Einstein"

Doch dort ist die Hellas-Pleite bereits angekommen. Die Akteure auf den Finanzmärkten erschreckt die Schwäche der Euro-Politiker. "Wenn Merkel und Co. nicht mal ein Land retten können, das lächerliche zwei Prozent des EU-Bruttoinlandsproduktes ausmacht, dann ist Euroland dem Untergang geweiht", klagt der Chefvolkswirt einer Großbank bei Bier und Wiener Schnitzel im Cafe "Einstein". Er möchte öffentlich ungenannt bleiben.

China, das weltweit über den größten Devisenschatz verfügt, schichtet seine Billionen um. Der Euroanteil wird von etwa 40 auf nahe 0 Prozent runter gefahren. Die Bundesregierung in Berlin hat Schwierigkeiten, ihr Staatsdefizit zu finanzieren. Banker und Fondsmanager erinnern sich, dass Deutschland mit einem Schuldenberg von zwei Billionen nach Japan und den USA der größte Schuldner ist und die Euro-Kriterien weit verfehlt. Bis zum Crash musste der Bund für Anleihen nur noch 1,8 Prozent berappen - weniger als die Inflation, also praktisch umsonst. Den globalen Investoren genügte die Sicherheit des Euros. Nun wollen Investmentbanken, Investoren und Staatsfonds von Berlin fette Zinsen sehen, 8 Prozent ist im Gespräch. Selbst zu diesem Mega-Zins schafft es die Bundesfinanzagentur in Frankfurt nicht, im Dezember fünf Milliarden Euro aufzunehmen, mit denen der Bund die Pensionen seiner Beamten zu Weihnachten begleichen wollte.

Wie zuvor in Griechenland ersticken die hohen Zinsen auch hierzulande das Wirtschaftsleben. Kaum ein Unternehmen kann dauerhaft investieren, wenn der reale Zins über 3 Prozent liegt, weil dann die Gewinne zu gering sind, um Schulden und Zinseszinsen zu tilgen. In Afghanistan nehmen die Angriffe auf die Bundeswehr zu; Gazprom will seine Gaslieferungen nach Deutschland neu verhandelt und stoppt den Bau der Ostseepipeline. Deutschlands Exportmotor stottert. Der frühere Exportweltmeister, dessen Siegeszug bis zum 15. Oktober von billigen Euro-Zinsen und sicheren Exportmärkten beflügelt wurde, versinkt wieder in einer "Eurosklerose", wie zu den Zeiten der Regierung Kohl. Erst der neue Markt in Ostdeutschland hatte die lahmende Wirtschaft wieder auf Trab gebracht. Ähnliches gelang ein Jahrzehnt später dem europäischen Binnenmarkt.

Vorschlag für ein weiches Ende

Und die Finanzmärkte? Mehrere Banken in Griechenland und Portugal brechen im November zusammen. Europas Großbanken jedoch hatten rechtzeitig ihre gefährdeten Staatsanleihen abgeschrieben und an die Europäische Zentralbank sowie an High-Yields-Fonds, die mit Ramschpapieren handeln, verscherbelt. Das Investmentbanking der Deutschen Bank in London meldet im Januar einen Rekordgewinn.

Selbstverständlich kann alles ganz anders kommen. Für ein glückliches Ende, so mein Vorschlag, sollte die bereits eingeleitete weiche Teilumschuldung unter Beteiligung der privaten Banken für Griechenland im Oktober ausgedehnt werden; die großen Exportüberschussländer schließen einen Solidarpakt mit den kleinen, wirtschaftlich schwächeren Euro-Ländern; die Europäische Zentralbank stellt - nach dem erfolgreichen Beispiel der staatlichen, deutschen KfW-Bank - der Wirtschaft Griechenlands und Portugals zinsgünstige Investitionsdarlehen bereit, und ein "Marshall-Plan" sorgt für den Wiederaufbau einer wettbewerbsfähigen lokalen Industrie in Griechenland, Irland und Portugal.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.