Ein ganz normaler Gottesdienst mit dem Papst
Knapp vier Millionen Menschen in Deutschland besuchen regelmäßig den katholischen Gottesdienst. Am Donnerstagabend im Berliner Olympiastadion waren es 70.000. Eine ganz normale Feier - mit dem Unterschied, dass der Papst dabei war.
22.09.2011
Von Bernd Buchner

Grün ist die Farbe der Hoffnung. In der katholischen Liturgie ist es auch die Farbe des Alltags, der Normalität. Als der Papst am Donnerstagabend um 18.02 Uhr ins Berliner Olympiastadion einfuhr und zunächst eine bejubelte Runde im Papamobil fuhr, trug er sein übliches weißes Gewand, Markenzeichen des Kirchenoberhaupts. Dann aber zog er sich um und zelebrierte die Messe in Grün. Ein ganz normaler Gottesdienst an einem ganz normalen Werktag. Nur mit dem Papst eben.

Die Messe war der geistliche Teil des ersten Besuchstages. Zuvor hatte Benedikt XVI. mit den Spitzen des Staates gesprochen und im Bundestag eine Rede gehalten. Die Freude, mit der er sodann im Stadion begrüßt wurde, bewegte sich im Rahmen – nicht ganz so überschwappend wie 2005 beim Kölner Weltjugendtag, als Gläubige dutzendweise in den Rhein sprangen, um dem Papst nahe zu sein, oder ein Jahr später in Bayern, als seine Landsleute vor Begeisterung kaum zu halten waren.

Restaurative Signale

Die Kirche hat seither einiges durchgemacht. Der Papst hat weniger erneuernd gewirkt, als es viele erhofften, er setzt eher restaurative Signale. Und im vergangenen Jahr sorgte der Missbrauchsskandal in Einrichtungen für Entsetzen; noch lange nicht hat sich der deutsche Katholizismus davon erholt. Da sehnen sich die Gläubigen nach Normalität. Auffallend viele Jugendliche sind ins Olympiastadion gekommen – die "Generation Benedikt" sucht Orientierung und Antworten, verbirgt aber ihre Freude am Glauben nicht.

Der Papst auf der Tartanbahn des Olympiastadions: Nicht ganz so schnell wie Usain Bolt, der vor zwei Jahren an gleicher Stelle Weltrekord lief (100 Meter in 9,58 Sekunden), aber unter vergleichbarem Jubel. Foto: Bernd Buchner

Ein "Jahrtausendereignis" nennt Berlins neuer Erzbischof Rainer Maria Woelki den Papstbesuch und hat Recht damit. Dass ein deutscher Pontifex die deutsche Hauptstadt besucht, wird es so schnell nicht mehr geben. Berlin sei "geprägt von Gottvergessenheit und Atheismus", so Woelki wenig schmeichelhaft. Zugleich gebe es "viele, die nach Gott suchen und nach Gott fragen". Die Christen, so der Erzbischof, müssten zusammenstehen, die Ökumene sei "überlebenswichtig für unsere christliche Existenz und unser authentisches Zeugnis".

Nach dem Evangelium über das berühmte Gleichnis vom Weinstock und den Reben hält Benedikt XVI. eine Ansprache, bei der das erste Zuhören nicht genügt. Man muss sie danach noch einmal lesen. Eine Unterweisung, eine ganz einfache Auslegung und Exegese, mit Demut vor dem Text, mit Gedanken wie: "Manchmal fühlen wir uns in solchen Stunden der Not wie in die Kelter geraten, wie Trauben, die völlig ausgepresst werden." Zugleich ist die Predigt, wie schon die Bundestagsrede, von einer nicht ganz greifbaren Tiefe.

"Konzentration auf das Mysterium"

Ganz greifbar ist der Papst ohnehin nicht, das gehört zur Normalität einer Feier im Fußballstadion. Benedikt XVI. ist weit weg, auch auf den Leinwänden sieht man ihn nicht wirklich. Ein Mysterium wie die Messe. Vereinzelte "Benedetto"-Rufe verstummen rasch. "Alles, was die Konzentration auf das Mysterium stören könnte", sagt ein Redner, "soll vermieden werden." Keine Spruchbänder, keine Sprechchöre.

Ganz erstaunlich, wie still es dann unter knapp 70.000 Menschen werden kann. Und was für ein Geräusch entsteht, wenn diese Menschen gemeinsam aufstehen oder sich setzen. Der Papst, so der Eindruck, nimmt das nicht wahr. Er ist vollständig abgewandt, singt die Lieder wie das flotte "Da berühren sich Himmel und Erde" nach der Kommunion nicht mit. Ein erschöpfter alter Mann nach einem anstrengenden Tag. Er hält den Stürmen stand. Die Abendsonne schien schon wieder, als er ins Stadion einfuhr – kurz nach einem Regenguss.

Von Personenkult war bei der Feier nichts zu spüren; auch ein "Event" im negativen Sinn des Begriffs war es nicht. Normalität, wie eine Sonntagsmesse, zu der Woche für Woche an die vier Millionen Gläubige in die Kirchen kommen. Als der Berliner Gottesdienst zu Ende geht, ist es Nacht über der Hauptstadt. Der Papst ist plötzlich weg und wird nicht mehr gesehen. Die Bischöfe ziehen aus, durchschreiten das halbe Spielfeld, alle in einheitliches Grün gekleidet. Alles ganz normal, gemischt mit etwas Hoffnung. 


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.