Mehr Transparenz wagen: Open-Data-Portale machen's möglich
Behörden öffnen zögernd ihre Datenbestände für die Netzöffentlichkeit. Neue Anwendungen entstehen, die Umweltwarnungen ausgeben, Haushaltsbudgets durchleuchten und die Parlamente transparenter machen können. Berlin ist seit Mitte September Open-Data-Hauptstadt. Mit dem Start des Berliner Open-Data-Portals hat sich die Stadt an die Spitze der kommunalen Open-Data-Bewegung gesetzt.
22.09.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Um was geht es bei Open Data? Es geht darum, dem Bürger direkt Daten der Verwaltung an die Hand zu geben. Dazu gehören etwa aktuellste Verkehrsdaten, aus denen sich beispielsweise ersehen lässt, an welchen Baustellen gerade gearbeitet wird und wo es zu Staus kommt. Auch Daten zur Stadtplanung und zum Baugeschehen können veröffentlicht werden. Der Haushalt kann transparent dargestellt und für die Mitwirkung der Bürger geöffnet werden. Interessant können auch Umweltdaten etwa zu Feinstaub, Pollen oder Radioaktivität sein, die in Echtzeit veröffentlicht werden.

Der freie Zugang zu öffentlichen Daten soll der Verwaltung nicht nur die Arbeit erleichtern, sondern auch den Bürger mehr Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnen, da diese besser informiert sind. Hinter Open Data steht damit auch die Idee, dass nur Öffentlichkeit und Transparenz Machtmissbrauch verhindern können.

Berlin als langsamer Vorreiter für Kommunen und Länder

Das Berliner Open-Data-Portal hat bislang nur 20 Datensätze veröffentlicht. Die meisten stammen aus den Beständen des Statistischen Landesamts. Unter anderem gibt es die Daten des Mikrozensus 2009, einer Stichprobenerhebung von Haushalten, Familien, Lebensformen und Arbeitsmarkt nach Stadtbezirken und die Daten von OpenStreetMap für Berlin. Mit politischer Rückendeckung hätte die Verwaltung den Mut und den Elan, noch mehr Daten herauszurücken.

Eine progressive Open-Data-Agenda ist daher notwendig. In Berlin geht es bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen um die künftige politische Ausrichtung der Stadt- und Landespolitik. Die SPD hat gewonnen, mit wem sie künftig zusammenarbeiten will, lotet sie gerade aus. In der Frage "Open Data" ist es interessanterweise – bis auf die CDU, die zu dem Thema noch zu keiner Position gefunden hat - egal mit wem sie koalieren wird. Denn sowohl Linke, Grüne wie auch Piraten zeigen sich hier außerordentlich aufgeschlossen, wie eine Umfrage des Vereins Digitale Gesellschaft zeigte. Die klarste Open-Data-Politik verfechten dabei die Piraten, die alle Daten sofort veröffentlichen will – außer sie beziehen sich auf Personen.

Entwickeln im Wettbewerb

Frühestens 2013 soll deutschlandweit ein zentrales Open-Data-Portal für Bund und Länder eröffnet werden. Das ist im internationalen Vergleich recht spät, denn es gibt schon seit rund zwei Jahren in den USA und in Großbritannien entsprechende Angebote, Länder wie Neuseeland und Frankreich sind längst nachgezogen. Von ihnen profitieren App-Entwickler, die mit den Daten interessante Anwendungen für das Web, aber auch für das Smartphone bauen können.

In Deutschland geht immerhin im November ein bundesweiter Open-Data-Wettbewerb unter der Schirmherrschaft das Bundesinnenministeriums an den Start: Apps für Deutschland – nach dem amerikanischen Vorbild "Apps for Democracy". Entwickler sollen auf die bereits verfügbaren Daten zugreifen können, auch sollen Behörden weitere Datensätze zur Verfügung stellen.

Wie hoch ist der Wasserstand, wie hoch die Gammastrahlung?

Für den Wettbewerb sollen die Daten auf der Website des Statistischen Bundesamts destatis.de und des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie verwendet werden können. Das Bundesumweltbundesamt überlegt zurzeit Messdaten zu Ozon, Feinstaub, radioaktiver Strahlung oder Lärm direkt zur Verfügung zu stellen. Auch die Daten des Umweltportals Deutschland PortalU.de mit 17 Katalogen mit Metadaten von Bund und Ländern sind weitgehend frei verwendbar.

Als vorbildlich gelten die Online-Pegelstände von Binnenflüssen. Hier können die in ständig aktualisierten Daten frei verwendet und als Rohdaten heruntergeladen werden. Entwickler könnten damit eine Smartphone-App bauen, die standortabhängig immer anzeigt, wie hoch gerade der Pegelstand ist. Gerade für Anwohner von überschwemmungsfreudigen Flussläufen könnte das eine sehr interessante Anwendung sein.

Eine wichtige Forderung der Entwickler an die Behörden besteht denn auch darin, dass die Rohdaten kostenfrei in einem maschinenlesbaren Format zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollen sie unter urheberrechtliche Lizenzen wie der Creative-Commons-Lizenz gestellt werden, damit es keine rechtlichen Probleme gibt, wenn die Daten von anderen ebenfalls verwendet werden. Ausdrücklich soll auch die kommerzielle Verwendung erlaubt werden, denn diese ist für freie Entwickler ein wichtiger Anreiz.

Allergiker könnten wiederum sehr viel Wert auf eine App legen, die ihnen für ihren Standort den aktuellen Pollenflug analysiert. Täglich aktualisierte Radioaktivitätsdaten können unter Umständen lebensrettend sein – nach Unfällen in Atomkraftwerken könnten Bürger für ihren Standort erkennen, ob eine Gefährdung vorliegt. Der Grafiker Marian Steinbach zeigt in einem Video, wie sich die Messwerte für die Gammastrahlung bundesweit verändern. "Strahlenwetter" hat er es benannt, da es scheint, dass sich die Werte mit den Niederschlägen ständig ändern.

Politische Macht durchleuchten

Die große demokratietheoretische Frage hinter Open Data ist, ob besser informierte Bürger zu einer lebendigeren Demokratie, und damit letztendlich auch zu wohl begründeten Entscheidungen finden können. Etliche Open-Data-Projekte beschäftigen sich daher auch damit, die Parlamentsarbeit transparenter zu gestalten. 

Als sehr fortschrittlich gilt die polische Website sejmometr.pl, da sie den einzelnen Abgeordneten nicht nur wie Abgeordnetenwatch durchleuchtet, sondern auch die Informationsflüsse des Parlaments visualisiert. Man kann erkennen, welche Themen gerade aktuell sind, welche Abstimmungen stattfinden und wer wann welche Positionen vertritt. Aber auch die Lobbyarbeit lässt sich durchleuchten: Eine Visualisierung der "Washington Post" zeigt, wie viele ehemalige Mitarbeiter von Abgeordneten in das Lobbyismus-Geschäft gewechselt sind – und welchen thematischen Schwerpunkte sie sich widmen. 

Der Fraktionszwang ist nie absolut 

Für deutsche Parlamente gibt es all das noch nicht, aber die ersten Vorarbeiten laufen bereits. Ein Baustein könnte beispielsweise die Arbeit des Infografikers Gregor Aisch zum Thema Fraktionszwang sein. Interessant sind solche Zahlen für alle Aktivisten und Lobbyisten, wenn sie feststellen wollen, bei welchen Themen in welcher Partei eine besonders große Uneinigkeit herrscht. 

Visualisierung: Gregor Aisch

Aisch stellte fest, dass es keineswegs geschlossene Abstimmungen gibt: Viele erreichen innerhalb einer Fraktion nur eine Zustimmung von 80 Prozent. Beim Vergleich der Fraktionsdisziplin der großen Koalition unter Merkel und Steinmeier und der bürgerlichliberalen Koalition unter Merkel und Westerwelle stellte er fest, dass die bürgerlichliberale Koalition mit über 90 Prozent erheblich geschlossener abstimmt, wohl aufgrund der knapperen Mehrheiten. 

Open Data steht in Deutschland am Anfang. Noch geht es darum, Themenfelder zu finden und die dazu gehörigen Datensätze aufzutreiben. Über kurz oder lang wird es aber auch hier Diskussion geben, in welche Richtung sich die Transparenzbewegung entwickeln wird. So gibt es bereits Befürchtungen, dass das Ideal der Open-Data-Bewegung, vor allem "Offenheit" herzustellen, zu neutral ist, wenn es nicht gleichzeitig auch an Werte wie "Gerechtigkeit", "Freiheit" und "Demokratie" gekoppelt ist. Was bedeutet, dass nicht nur technikaffine junge Männer die neuen Informations- und Mitwirkungsmöglichkeiten nutzen sollen, sondern alle Bürger.


Christiane Schulzki-Haddouti lebt und arbeitet als freie Journalistin in Bonn.