"Viele sind frustriert": Palästina und die UN
Es ist die größte Vollversammlung in der Geschichte der Vereinten Nationen mit 120 Staats- und Regierungschefs. Und doch dreht sich alles nur um ein Thema: Sollen die Palästinenser künftig mit dabei sein? Und wenn ja, wie?
22.09.2011
Von Chris Melzer

Die, um die sich alles dreht, sind noch gar nicht da. Zumindest nicht so richtig, nicht als Staat, geschweige denn als Vollmitglied. Dafür kommen sie in fast jeder Rede der Staats- und Regierungschefs aus aller Welt vor. Die Palästinenser haben am Mittwoch den Beginn der Generaldebatte der UN-Vollversammlung dominiert. Sie wollen mit Macht als Vollmitglied in das UN-Gebäude am New Yorker East River einziehen. Die USA wollen das, solange es keinen Frieden mit Israel gibt, ebenso vehement verhindern. Aber in den höchsten Kreisen bewegt man sich natürlich höchst diplomatisch - meistens.

War es ein schlechtes Omen, dass ausgerechnet die Rede des ständig auf Ausgleich bedachten UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon mit einer Panne begann? Etwas ratlos stand der Koreaner hinter dem Pult, weil die Tonanlage anfangs nicht richtig funktionierte. Dutzende der hellblauen Sitze waren noch leer, anscheinend hatten viele der 120 Staats- und Regierungschefs nicht mit einem pünktlichen Beginn gerechnet. Die Palästinenser, noch als "nichtstaatliche Beobachter" in New York, enttäuschte Ban: Zu Weltbevölkerung, Syrien, Klima und Wirtschaft sprach er; zu Palästina, dem bestimmenden Thema dieser Tage in der Welthauptstadt der Politik, verlor er kein Wort.

Diplomatische Achterbahnfahrt in New York

Der Weg der Palästinenser soll über den Sicherheitsrat gehen, und da hat Brasilien derzeit Sitz und Stimme - und Sympathien für die Palästinenser. "Die Zeit ist gekommen, dass dieses Volk voll repräsentiert wird", sagte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Das sei ein legitimes Recht, deshalb habe Brasilien Palästina anerkannt.

Das macht die Zwickmühle für Barack Obama nur größer. Vor einem Jahr hatte der US-Präsident an gleicher Stelle den Palästinensern einen eigenen Staat in Aussicht gestellt - den fordern die nun ein. Und damit sorgen sie für eine diplomatische Achterbahnfahrt in New York. "Aber ich habe auch gesagt, dass solch ein Staat nur durch Verhandlungen mit Israel erreicht werden kann", betont Obama jetzt. "Das mag dauern. Aber es gibt keine Abkürzung. Frieden ist harte Arbeit!"

Viele seien frustriert, "ich auch", bekannte Obama. "Die Palästinenser haben schon zu lange gewartet." Aber niemand könne einen Staat fordern und einem anderen das selbe Recht absprechen. "Israel ist ein kleines Land, das von vielen Feinden umgeben ist. Seine Bürger sterben durch Bomben in Bussen oder durch Raketen. Unser Eintreten für Israels Sicherheit ist unerschütterlich." Nach seiner Rede bekam Obama Applaus von der Vollversammlung - zur Begrüßung eine halbe Stunde zuvor war es deutlich mehr.

Showdown am Freitag?

Für den Präsidenten hat das Ganze auch eine innenpolitische Komponente. Rick Perry und Mitt Romney, die aussichtsreichsten Bewerber auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur, werfen Obama trotz seiner Vetodrohung vor, Israel im Stich zu lassen. Israel sei "unser ältester und stärkster demokratischer Verbündeter im Nahen Osten", sagt Perry, Obamas "Beschwichtigungspolitik" habe aber die Radikalen unter den Palästinensern gestärkt. Und Romney spricht von einem "kompletten diplomatischen Desaster". Die Stimmen jüdischer Wähler sind in den USA wichtig. Bei der Präsidentschaftswahl vor knapp drei Jahren hatte Obama noch fast 80 Prozent von ihnen bekommen.

Der Showdown in New York könnte am Freitag kommen. Dann will Palästinenserpräsident Mahmud Abbas offiziell den Antrag eines Staates Palästina auf Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen einreichen. Am gleichen Tag wird er zu den Delegierten sprechen, als 76. der 200 Redner. Ein Zufall des Protokolls will es, dass nur drei Positionen hinter ihm, also nicht einmal eine Stunde später, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an der Reihe ist. So viel Aufmerksamkeit hatte die UN-Vollversammlung lange nicht mehr.

dpa