"Es ist aufregend", sagt Christoph Schmidt vor Beginn des Gottesdienstes in der evangelischen Thomaskirche in Berlin-Kreuzberg. "Schön, so viele Menschen zu treffen." Mit seinem Lebenspartner Norbert Reicherts veranstaltet Schmidt eine katholische Feier, bei der auch protestantische und andere Christen zur Eucharistie eingeladen werden sollen – ausgerechnet am Abend vor Beginn des Staatsbesuchs von Papst Benedikt XVI. in Deutschland. Eine Provokation, denn die Einladung von Nicht-Katholiken zur Kommunion ist kirchenrechtlich verboten.
Der Gottesdienst hatte bereits im Vorfeld für ökumenische Verstimmungen gesorgt. Der neue Erzbischof von Berlin, Rainer Maria Woelki, warnte die beiden Geistlichen vor dem Unterfangen, das ein "schwerwiegender Angriff gegen die Einheit der Kirche" wäre. Dass eine evangelische Kirche Gastfreundschaft für die Feier gewähre, sei "mit Befremden zur Kenntnis genommen" worden, ergänzte ein Sprecher des Erzbistums. Schmidt und Reicherts waren 1999 durch die Bischöfe von Essen und Paderborn von ihrem Dienst suspendiert worden. Sie dürfen deshalb keine Gottesdienste feiern. Ihre Weihe bleibt gleichwohl gültig.
Foto- und Videoaufnahmen untersagt
Der evangelische Berlin-Brandenburger Bischof Markus Dröge versuchte die Wogen zu glätten. Die Verantwortung für den Gottesdienst liege bei der Kreuzberger Gemeinde, erklärte er. Allerdings sei von Eucharistiefeier nicht zu erwarten, dass sie der Ökumene einen weiteren Impuls geben werde. Auch Gemeindepastorin Claudia Mieth verteidigte das gewährte Gastrecht: "Dazu stehen wir." Während der Feier versuchte Mieth gemeinsam mit der Sprecherin des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte, Christiane Bertelsmann, energisch, Foto- und Videoaufnahmen aus dem Gotteshaus zu unterbinden. Die Angst vor negativen Auswirkungen auf die Ökumene war groß.
Was vom Mahle übrig blieb: Reste von Brot und Wein neben Kerzen und der Heiligen Schrift auf dem Altar der Thomaskirche in Berlin-Kreuzberg. Foto: Bernd Buchner
Die Feier selbst verlief in bedächtiger, würdiger Atmosphäre, obwohl die beiden suspendierten Priester mit teils bizarren, befremdlichen Gesten agierten – als wären sie es nicht mehr gewöhnt, einem Gottesdienst vorzustehen. Sie waren offensichtlich peinlich bemüht, alles zu vermeiden, was Protestanten und andere Christen irritieren könnte. Sie trugen keine Stola, machten kein Kreuzzeichen. Sie saßen wie evangelische Pastoren in der ersten Reihe. Nicht einmal ein Glaubensbekenntnis gab es. Reicherts sprach in seinen Anfangsworten von "Gott, unsere Mutter, unser Vater". Kniebeugen gab es ganz am Ende, vor dem Auszug – allerdings vom Altar abgewandt.
Die Thomaskirche wirkt etwas wie eine Baustelle, ganz wie die Ökumene auch – die Frage des gemeinsamen Abendmahls ist ja eine der schwierigsten Gesichtspunkte im Gespräch der Konfessionen. Der 1869 fertiggestellte Neorenaissancebau, einst für 3.000 Menschen angelegt, fasst heute nur noch 500 Plätze. In der NS-Zeit war das Innere des Gotteshauses mit asbestverseuchter Farbe bemalt worden, die nach dem Weltkrieg wieder entfernt wurde. Seither fehlt Geld, die Kirche neu zu bemalen. Ein Baldachin über der Vierung strahlt die Ästhetik des Hässlichen aus den 1960er Jahren aus. Mit seinen Leerstellen, Fragezeichen ein passender Ort für einen brisanten Gottesdienst wie diesen.
"Liebe Mitmenschen"
Nach dem Evangelium, das passenderweise die wunderbare Brotvermehrung zum Thema hatte, setzte Schmidt zur Predigt an. "Liebe, ja was sage ich – Mitmenschen", so der holprige Beginn, der die theologische Unsicherheit des Zelebranten verriet. Schmidt sprach von der deutsch-deutschen Grenze, der Todesstreifen verlief direkt hinter der Thomaskirche. Grenzen gebe es auch "zwischen dir und mir", im persönlichen Miteinander, und auch in Sachen Einladung zur Eucharistie "gehen wir an die Grenze", so der Geistliche. An der Grenze begegne man sich vielleicht mit einem Lächeln, "wir können uns aber auch verletzen".
Welche katholischen Regeln wurden durch die Feier nun verletzt? Weniger als gedacht. Es war nämlich keine Eucharistiefeier. Zwar folgte, noch in der Predigt, der Satz: "Norbert und ich laden Sie ein, das zu feiern: Eucharistie." Aber bereits in den Fürbitten wurde die Freiheit erwähnt, "die Einladung anzunehmen oder abzulehnen". Die Brotlaibe und Weinkelche wurden, auch das eher befremdlich, zur Gabenbereitung von den letzten Reihen der Kirche nach vorne durchgereicht. "Wir freuen uns", sagt Schmidt, "und werden dieses Brot essen und diesen Wein trinken."
Herabrufung des Heiligen Geistes fehlte
Über Brot und Wein sprachen die sprachen die Geistlichen zwar die Einsetzungsworte ("Das ist mein Leib…"), die allerdings stark abgewandelt wurden. Auf die vorausgehende sogenannte Gabenepiklese verzichteten sie ganz. Die Epiklese ist die Herabrufung des Heiligen Geistes zur Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi – ein entscheidender Aspekt der katholischen Eucharistie. Das Abendmahl selbst folgte ganz in evangelischer Anmutung, die Teilnehmer standen gemeinsam um den Altar herum und reichen sich Brot und Wein weiter. Die Veranstaltung wirkte eher wie eine Agape, ein "Liebesmahl", wie es in den urchristlichen Gemeinden verbreitet war.
Rund 250 Menschen nahmen an der rund 80-minütigen Feier teil, unter ihnen viele homosexuelle Paare sowie etliche Gemeindemitglieder von Sankt Thomas. Zwei Polizeibeamten, die Pastorin Mieth als reine Vorsichtsmaßnahme angefordert hatte, blieben arbeitslos. Richtige Stimmung kam bei der Veranstaltung nur am Ende auf. "Danke für die Gastfreundschaft", sagte Schmidt und erntete Beifall. Einige Texte, sagte er zur merkwürdigen Gestalt der Feier, habe man weggelassen, "weil wir uns ja noch nicht so gut kennen". Vielleicht, schob er nach, "fühlt es sich ein wenig fremd an." Fürwahr.
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.