Religion ist in Deutschland selbstverständlich die persönliche Entscheidung jedes Menschen, jeder darf glauben oder auch nicht glauben, was er will oder nicht will. Damit das so sein kann, muss sich der Staat freizügig zum Thema Religion verhalten: Er ist weltanschaulich neutral und garantiert dadurch den Bürgern ihre Glaubensfreiheit. Artikel 4 des Grundgesetzes lautet: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."
In Deutschland gibt es keine Staatskirche – wie etwa in England oder den meisten nordischen Ländern – aber auch keine vollständige Trennung von Staat und Kirche wie beispielsweise in Frankreich, wo mit dem Begriff Laizismus Religion aus der Öffentlichkeit verbannt ist und als Privatsache verstanden wird. Deutschland hat sich für einen anderen Weg entschieden – weder für das laizistische Modell à la Frankreich noch für ein Staatskirchentum wie in Skandinavien.
Die "hinkende Trennung" von Staat und Kirche
Staat und Kirche haben in Deutschland aus historischen Gründen Berührungspunkte und regeln gemeinsame Anliegen partnerschaftlich. Sollte man das, was bisher gut funktioniert hat, um eines abstrakten Prinzips willen aufgeben, Religion zur Privatsache erklären und aus der Öffentlichkeit verdrängen?
Einige staatskirchenrechtliche Regelungen greifen mittlerweile auf eine fast hundertjährige Tradition zurück. Mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches und der Abschaffung des landesherrlichen Kirchenregimentes musste die Weimarer Republik ab 1919 das Verhältnis zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften neu bestimmen – einige dieser Regelungen wurden 1949 einfach ins Grundgesetz übernommen und gelten unverändert fort. In Artikel 140 heißt es unter anderem: "Es besteht keine Staatskirche."
Weiterhin ist in Art. 140 des Grundgesetzes das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geregelt: "Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig … ohne Mitwirkung des Staates und der Bürgerlichen Gemeinde." Der Begriff "Trennung" kommt im Grundgesetz nicht vor, vielmehr geht es um die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und des Staates von der Kirche. Juristen bezeichnen daher das Verhältnis von Staat und Kirche als "hinkende Trennung".
Warum Herr Bedford-Strohm kein Geld vom Staat haben will
In der Diskussion stehen zurzeit besonders die Staatsleistungen an die Kirche, dies sind in der Regel Entschädigungszahlungen des Staates für enteignete Kirchengüter. So wird beispielsweise in Bayern die Besoldung der katholischen Bischöfe und des evangelischen Landesbischofs den Kirchen erstattet. Der designierte bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der im Oktober in sein neues Amt eingeführt wird, findet, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, dass das Land Bayern zukünftig seine Besoldung übernimmt.
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Im Grundgesetz steht schon seit 1949, dass diese Staatsleistungen abgelöst werden sollen. Geändert hat sich bisher nichts. Nach einhelliger juristischer Meinung bedeutet dieser Auftrag, die regelmäßigen Zahlungen des Staates durch eine Einmal-Zahlung an die Kirchen zu ersetzen. An dieses Thema will aber zurzeit niemand ran. Der Auftrag zur Ablösung der Staatsleistungen stand übrigens bereits im Reichdeputationshauptschluss von 1803, der viele Enteignungen auslöste. Daher spricht vieles dafür, dass sich in nächster Zeit auch nichts ändern wird – auch wenn die Piratenpartei dies nun fordert.
Praktisch: Der Staat zieht die Kirchensteuer ein
Ein weiterer Streitpunkt im Zusammenhang mit den Finanzen ist die Kirchensteuer. Aufgrund der Weimarer Reichsverfassung haben die Kirchen das Recht, eine eigene Steuer zu erheben, damit sie vom Staat unabhängig sind – diese Regelung wurde auch ins Grundgesetz übernommen. Die Kirchensteuer beträgt je nach Bundesland zwischen acht und neun Prozent der Einkommensteuer. Menschen ohne eigenes Einkommen sind von der Zahlung ausgenommen, zum Beispiel Rentner und Studenten. Dass der Staat diese Steuern für die Kirche einzieht, hat sich als effizient erwiesen: Den Verwaltungsaufwand lassen sich die staatlichen Behörden je nach Bundesland mit drei oder vier Prozent der Steuermittel honorieren. Würden die Kirchen selbst ein System für den Steuereinzug betreiben, wäre das wesentlich teurer.
Was die Finanzen angeht, gibt es also aus historischen und aus praktischen Gründen Berührungspunkte zwischen Staat und Kirche. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat den Kirchen inhaltlich ins Handwerk pfuschen würde. Im Gegenteil: Er räumt ihnen auch als Körperschaft Freiheiten ein. Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes ist nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern umfasst auch das Recht, sich zusammenzuschließen und als Gemeinschaft in der Gesellschaft zu wirken. Der Staat lässt die Kirchen zum Beispiel durch Sozialeinrichtungen, Krankenhäuser, Pflegedienste, Kindergärten und Schulen in der Gesellschaft mitarbeiten.
Die Kirchen verstehen ihr Handeln als Dienst an der Gemeinschaft. Es entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, nach dem gesellschaftliche Aufgaben nicht zuerst vom Staat, sondern von Gruppen innerhalb der Gesellschaft selbst wahrgenommen werden. Die "Eintrittskarte" der Kirchen in das Gesellschaftswesen ist der Status "Körperschaft des öffentlichen Rechts". Sie sind dadurch zwar nicht Teil des Staates, haben aber eine rechtlich anerkannte Position, aus der heraus sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen.
Partnerschaft heißt Geben und Nehmen
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche wird in Staatsverträgen bzw. Konkordaten geregelt. Die Verträge für Militär- und Anstaltsseelsorge gehen beispielsweise davon aus, dass jeder Mensch, sofern er es wünscht, ein Recht hat, seelsorglich betreut zu werden, auch wenn er Soldat oder Gefangener ist.
Partnerschaft bedeutet, dass es für beide Seiten ein Geben und Nehmen ist: Staatsverträge garantieren, dass es theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten gibt. Gleichzeitig schreiben die Kirchen ihrem theologischen Nachwuchs vor, an diesen Fakultäten zu studieren – ein Studium an einer etablierten Universität schützt vor Sektierertum und Fundamentalismus. Aus diesem Grunde setzten sich auch Politiker verschiedener Parteien dafür ein, die Imame an staatlichen Universitäten auszubilden.
Kirchliche Schulen und Kindergärten nehmen öffentliche Aufgaben wahr, sonst müssten die Kommunen mehr Plätze vorhalten. Es stimmt, dass diese zu einem großen Teil refinanziert werden, aber der Staat spart trotzdem, da er nicht 100 Prozent der Kosten tragen muss. Das Miteinander von staatlichen, kirchlichen und anderen freien Trägern führt außerdem zu einem breiterem Angebot.
Christliche Feiertage und Religionsunterricht an öffentlichen Schulen sind Ausdruck unserer Kultur. Aber selbstverständlich gilt auch hier Religionsfreiheit: Jeder darf sich vom Religionsunterricht abmelden und niemand ist gezwungen, christliche Feiertage zu feiern. Was wäre die Alternative? Christliche Feste abzuschaffen oder umzubenennen? Aus Ostern ein Hasenfest zu machen und aus Sankt Martin ein Lichterfest? Die deutliche Mehrheit, rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, gehören zur evangelischen oder katholischen Kirche und die deutsche Kultur ist nur vor dem Hintergrund des Christentums zu verstehen – diesem kulturellen Erbe tragen auch die Bestimmungen des Staatskirchenrechtes Rechnung.
Ralf Peter Reimann ist Pastor und arbeitet bei evanglisch.de.
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.