Nachgerechnet: Die Rettung des Euro zahlt sich aus
Alle stöhnen über die Krise des Euro, und nicht wenige wünschen sich die gute alte D-Mark zurück. Doch harte Zahlen beweisen: Unterm Strich nützt der Euro Deutschland mehr als er kostet.
19.09.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Wirtschaftswissenschaftler und Finanzminister Jacek Rostowski griffen zu drastischen Worten: Der Euro beziehungsweise sein Fortbestehen sei keine Frage von Krieg und Frieden. Ebenso unstrittig ist aber Merkels Feststellung bei der Eröffnung der Frankfurter Automobil-Ausstellung, es sei "völlig klar, dass Deutschland aus ureigenem Interesse und zugleich als größte Volkswirtschaft Europas in der Pflicht und Verantwortung steht, seinen Beitrag zu leisten, um die Zukunft des Euro zu sichern".

Die Kanzlerin mag dabei vor allem Autokonzerne und Exportwirtschaft im Blick gehabt haben, aber letztlich zieht die ganze Republik Nutzen aus der Europäischen Union und ihrer Leitwährung, dem Euro. Die europäische Gemeinschaftswährung brachte uns nach Berechnungen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt am Main einen Wohlstandsgewinn von 50 bis 60 Milliarden Euro.

"Die Währungsunion nutzt Deutschland"

Die KfW-Bank hat die wirtschaftliche Entwicklung mit und ohne den Euro durchgerechnet. Das Ergebnis zeigt, dass die Währungsunion nicht schade, sondern Deutschland nutze, betonte der Chefvolkswirt der Kreditanstalt Norbert Irsch. Der Euro bringt danach einen Wohlstandsgewinn von jährlich bis zu 30 Milliarden Euro, sagte Irsch in einem Interview, das ausgerechnet erschien, als der Bundestag über einen noch größeren Euro-Rettungsschirm stritt. "Um diesen Betrag", so Irsch, "wäre die wirtschaftliche Leistung weniger gestiegen, wenn wir die D-Mark gehabt hätten."

Irschs Aussagen basieren auf einer "Abschätzung des quantitativen Vorteils des Euro für Deutschland gegenüber einer fiktiven D-Mark", die im Juli 2011 erstellt wurde. Dieser Vorteil resultiere daraus, heißt es in dem zweiseitigen, eigentlich internen Papier, "dass das deutsche Wachstum mit einer eigenen Währung in den letzten beiden Jahren durch höhere Zinsen und eine härtere Währung niedriger ausgefallen wäre". Im Klartext: Nutzen zieht Deutschland aus niedrigeren Zinsen. Davon profitieren die Unternehmen und auch die Bundesregierung, weil sie seit der Euro-Einführung für Kredite und Anleihen relativ wenig Geld zahlen müssen.

Florierender Außenhandel …

Ein weiterer Vorteil ist die im Vergleich zur Deutschen Mark weichere Währung. Durch den niedrigeren Wechselkurs des Euro können hiesige Firmen Autos, Medikamente und Werkzeugmaschinen preiswerter im Ausland anbieten. Von Niedrigzinsen und Weichwährung profitiert besonders die deutsche Wirtschaft, weil sie extrem auf den Export ausgerichtet ist: Im Jahr 2010 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von sage und schreibe 1.152 Billionen Euro aus Deutschland ausgeführt - der Export macht fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes aus.

Allein im Juli erwirtschaftete Deutschland ein Plus im Außenhandel von mehr als zehn Milliarden Euro, meldet das Statistische Bundesamt. Binnen Jahresfrist lagen die Ausfuhren damit um rund vier Prozent höher. In die Länder der Eurozone gingen rund 40 Prozent aller Ausfuhren. Im Juli waren es 33,3 Milliarden Euro. In die EU-Länder, die nicht der Eurozone angehören, wurden Waren im Wert von weiteren 16,5 Milliarden Euro ausgeführt. Insgesamt verkaufte Deutschlands Wirtschaft also rund 60 Prozent seiner Exporte innerhalb der Europäischen Union.

… und Wegfall hoher Transaktionskosten

Der Wirtschaftsverkehr mit den Euro-Ländern ist besonders profitabel. Auf ihn entfielen laut Bundesbank in den vergangenen fünf Jahren zwei Drittel des gesamten Leistungsbilanzüberschusses Deutschlands - also weit mehr, als der Anteil am Außenhandel ausmacht.

Ebenfalls günstig wirken sich die geringeren "Transaktionskosten" in der Eurozone aus. So entfallen die Umtauschgebühren für Lira oder Franc, wenn Chemikalien nach Frankreich oder Italien geliefert werden. Zudem müssen sich BASF, Daimler oder Siemens nicht mehr gegen Währungskursschwankungen kostspielig versichern, wenn sie Produkte innerhalb des Euroraumes im- oder exportieren. Dieser erhebliche Aspekt blieb in der vorliegenden Studie der Kreditanstalt sogar noch unberücksichtigt.

Anderseits stehen diesen Vorteilen mögliche milliardenschwere Belastungen aus den Staatschuldenkrisen in Irland, Griechenland und Portugal gegenüber sowie unterm Strich eine Nettozahlung an die EU in Brüssel von rund sechs Milliarden Euro.

Immenser Wachstumsvorteil

Im Ergebnis hat Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren laut KfW einen Wachstumsvorteil zwischen zwei und 2,5 Prozentpunkten erreicht. Umgerechnet habe das Wirtschaftswachstum dadurch von Mitte 2009 bis Mitte 2011 zwischen 50 und 60 Milliarden Euro mehr zugelegt, als es unter der D-Mark passiert wäre.

Trotz aller Sorgfalt gibt die KfW, die zu vier Fünfteln dem Bund und zu einem Fünftel den Bundesländern gehört, "die große Unsicherheit" in ihrem Modell zu. Chefvolkswirt Irsch sieht nicht alleine die Bundesrepublik auf der Gewinnerseite: "Die Euro-Rettung lohnt sich, nicht nur für Deutschland, sondern für jedes einzelne Mitgliedsland der Euro-Zone", betonte Irsch. Diese These beißt sich allerdings mit dem eigenen Anti-D-Mark-Papier. Danach müsste sich ein Teil der Gewinne Deutschlands als Verluste in anderen Euro-Staaten niedergeschlagen haben. Eine Frage von Krieg oder Frieden ist das allerdings nicht.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.