Erstmals wurden mehr als 20 aktuelle Politik- und Geschichtsbücher aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Spanien für die höheren Schulkassen ab Sekundarstufe I. daraufhin untersucht, wie der Islam und die Muslime bildlich, grafisch und im Text thematisiert werden.
"In vielen europäischen Schulbüchern wird der Islam sehr vereinfachend als homogene Einheit dargestellt. Muslime erscheinen als religiöses, vormodernes Kollektiv außereuropäischer Anderer, dem ein gleichfalls homogenes modernes Europa gegenübersteht", erklärt Susanne Kröhnert-Othman vom Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung.
Länder mit muslimischer Mehrheitsgesellschaft werden graphisch meist homogen grün dargestellt und deutlich von Europa abgegrenzt und wirkten damit als bedrohliche Masse jenseits des eigenen Lebens- und Erfahrungsraumes der Lernenden. Begriffe wie "islamisch" und "arabisch" würden dabei oft ohne jede Differenzierung synonym verwendet. Nur selten finde sich wenigstens eine Unterscheidung zwischen Sunniten und Schiiten.
Der Islam werde oft als Religion der Unterwerfung gezeigt
"Zwischen dem Islam als Religion und dem politischen und kulturellen Leben in verschiedenen muslimischen Gesellschaften wird dabei ebenso wenig unterschieden wie zwischen vielfältigen Ausprägungen des Islam. Die regionale Vielfalt zum Beispiel in der Türkei, in der arabischen Welt, in Indonesien oder eben auch der Islam in den USA kommen nicht vor", beklagt Kröhnert-Othman.
Die Schulbücher suggerierten, dass die Lebensbereiche aller Muslime von ihrer Religion total beherrscht seien. Muslime werden als a-historisch dargestellt, als würden sie von der Gründungszeit bis ins 21. Jahrhundert immer nur ihre wenigen islamischen Religionspflichten wie das fünfmalige Gebet am Tag oder den Ramadan erfüllen und sich allein nach dem Koran richten. Der Islam werde häufig als Religion der Unterwerfung unter starre Regeln und System überkommener patriarchaler Kultur gezeigt. Auf Unterschiede religiöser Interpretationen, die verschiedenen Rechtsschulen oder gar den Einfluss außermuslimischer Philosophien oder Theologien werde an keiner Stelle eingegangen.
Islam taucht in Themenfeldenr wir Nahostkonflikt oder Terrorismus auf
Zudem werde die Geschichte des Islam nur bruchstückhaft thematisiert. So werde die Toleranz gegenüber Christen und Juden im muslimisch-spanischen Al Andalus des Mittelalters zwar positiv dargestellt. Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts scheine jedoch die Geschichte der arabisch-islamischen Welt zu enden. Ihre historische Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert werde in kaum einem europäischen Schulbuch erwähnt. Danach aber werde der Islam oftmals nur als eine Art Negativfolie gegenüber einem vermeintlich modernen aufgeklärten Europa thematisiert. Der Islam tauche meist nur noch in Themenfeldern wie Nahostkonflikt, Terrorismus, Islamismus, Dschihad, Kampf der Kulturen, Zwangsehen, Kopftuch- oder Moscheenstreit auf.
In spanischen Schulbüchern finden sich etwa Pauschalurteile wie: "Die islamische Welt hat Schwierigkeiten, sich an die heutige Welt anzupassen", oder: "Die Trennung von Heiligem und Weltlichem, die heutzutage die westliche Kultur charakterisiert, ist etwas Fremdes für einen Muslim." In österreichischen Schulbüchern etwa wird die gewaltsame Expansion des Islams als stetiges Grundelement bis in die Jetztzeit dargestellt.
Selbstmordattentäter der Gegenwart werden mit der historischen Ausbreitung des Islams im Mittelalter in Bezug gesetzt. Ein anderes Mal sollen Schülerinnen und Schüler den Zusammenhang von "Türkenkriegen" und Moscheebau an ihrem Schulort diskutieren, als verbinde sich mit der Religionsausübung die Idee einer heimlichen Machtübernahme Europas.
Klischeedarstellungen erzeugen Druck
Offensichtlich sei den Schulbuchverlagen aber eben auch den die Schulbücher zulassenden Kultusministerien zu wenig bewusst, dass der Eurozentrismus und die mangelnde Differenzierung bei der Darstellung des Islams zu einer wenig sachgerechten innereuropäischen Geschichtskonstruktion führe.
"Schulbücher müssen auswählen, sie müssen verdichten, sie müssen auch didaktisch vereinfachen. Aber es sind eben auch staatlich autorisierte und sehr deutungsstarke Medien, die Wissen kanonisieren und über längere Zeiträume verfestigen", warnt die Leiterin des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts, Simone Lässig. Mit ihren Vereinfachungen trügen europäische Schulbücher bei den Lernenden zu einer gewissen Islamophobie bei. Besonders Schulbuch-Kapitel zur Migration bedürften dringend der Revision. Solange Muslime immer nur als Sondergruppe außerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft dargestellt würden, könne eine sachgerechte Behandlung des Themas im Unterricht kaum stattfinden.
Durch Klischeedarstellungen seien vor allem Schüler aus der dritten und vierten Migranten-Generation unnötig zur Identifikation gezwungen, ob sie sich nun zur Sondergruppe oder zur deutschen Mehrheit zählen wollen. Die Unterscheidung zwischen "wir" und "sie" sollte bei der Thematisierung von Muslimen im Unterricht und in Schulbüchern daher überhaupt nicht mehr vorkommen, raten die Experten aus dem Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung.
Thomas Klatt ist freier Autor in Berlin.