"Mein Bruder, sein Erbe und ich", 19. September, 20.15 Uhr im Zweiten
Schon die ersten Einstellungen machen klar: Mit den Heimatdramen, die die ARD gern freitags zeigt, hat dieser ZDF-Film nichts gemeinsam; sieht man davon ab, dass die Geschichte im Oberallgäu spielt. Zunächst aber streift die Kamera nicht durch Gebirgslandschaften, sondern durch das Chaos im Haus von Roman. Für Fritz Karl ist der unfreiwillige Single "ein Lebemann, ein Seiltänzer, der sich durchschlawinert: ein Schummler, ein Scharlatan, aber absolut sympathisch". Kurz gesagt: eine Figur wie von Molière.
Und so spielt Karl den Bauernsohn auch: Roman fällt immer wieder auf die Nase, gern auch buchstäblich, steht aber jedes Mal wieder auf. Für den Österreicher muss das schon deshalb eine Traumrolle gewesen sein, weil er permanent hingebungsvoll fluchen darf. Romans Mundwerk ist ohnehin ständig in Bewegung, da er dauernd Pläne für seinen maroden Bauernhof schmiedet; mal züchtet er glückliche Schweine, dann will er vom Tourismus profitieren und einen Streichelzoo mit kleinen Wollschweinchen einrichten.
Die Brüder raufen sich zusammen
Allein diese Figur wäre bereits abendfüllend, aber Autorin Judith Angerbauer stellt Roman einen großartigen Gegenentwurf zur Seite, denn sein Bruder Adrian lebt das konsequente Kontrastprogramm: allein auf einer Alm, wortkarg, menschenscheu. Alexander Beyers lakonisch-sparsame Leistung steht den temperamentvollen Darbietungen Fritz Karls in nichts nach. Als die Mutter der Brüder stirbt, erbt Roman den Bauernhof und Adrian neben der Alm ein vermeintlich wertloses Aktienpaket, mit dessen Erlös Roman auf einen Schlag alle Probleme lösen könnte. Wie sich die beiden Brüder notgedrungen und im Wortsinne zusammenraufen, wie sie ihre gestörten oder unausgesprochenen Verhältnisse (Carolina Vera als Romans Beinahe-Ex-Frau, Alwara Höfels als Adrians heimliche Liebe) regeln, das ist so wunderbar erzählt und inszeniert (Regie: Imogen Kimmel), dass man gar nicht genug bekommt von diesen herrlich skurrilen Figuren.
Nicht minder liebevoll erdacht sind die Nebenrollen, etwa eine verhuschte Finanzbeamtin, die immer wieder vergeblich an Romans Zahlungsmoral appelliert. Dass Andrea Sawatzki die Dame mit X-Beinen und Silberblick versieht, ist eine der wenigen unnötigen Übertreibungen dieses Films, der ansonsten mit vielen hübschen Ideen eine perfekte Balance zwischen Parodie und Drama findet. Spätestens der wunderbare Bottleneck-Blues im Stil Ry Cooders (Musik: Fabian Römer) verdeutlicht die Welten, die zwischen dieser großartigen Komödie und dem üblichen Heimatfilm liegen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).