Was erwarten Sie von der Deutschlandreise des Papstes?
Wensierski: Die deutsche katholische Kirche ist in einer kritischen Situation. Sie droht in mehrere Richtungen auseinanderzufallen. Grob gesagt in die Reformer und in die Konservativen, Fundamentalisten und Traditionalisten, die sich selbst allein als papsttreuen Flügel der Kirche, als die wahren und besseren Katholiken sehen. Beide Seiten erhoffen sich einen unterstützenden Impuls durch den Besuch des Papstes. Wahrscheinlich ist aber, dass Joseph Ratzinger das weiter macht, was er seit Jahren macht: Den rückwärts gewandten Flügel der Kirche stärken und die Reformer in ihre Schranken weisen.
Sie sprechen von Fundamentalismus, ist das eine bewusste Wortwahl?
Wensierski: Ja. Der Papst hat gemeinsam mit dem römischen System des Vatikans große Anstrengungen gemacht in den letzten Jahren, die Traditionalisten und Fundamentalisten zu stärken, man denke nur an seine Unterstützung für die sogenannte alte tridentinische Messe, bei der der Priester der Gemeinde den Rücken zukehrt. Das sind diejenigen, die Reformen wie ein Ende des Zölibats etwa, in der Kirche verabscheuen. Sie wollen eine Restauration der Kirche wie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Anfang der 60er Jahre, denn sie geben der Generation der sogenannten liberalen "Konzilspriester" und ihren Reformideen die Hauptschuld am Niedergang der Kirche. Mehr beten, mehr Frömmigkeit, mehr Gehorsamkeit zum Papst ist ihr Rezept gegen die Kirchenkrise - zurück in die Zukunft. Darum spielt die Auseinandersetzung um die Liturgie so eine große Rolle derzeit.
Peter Wensierski, geboren 1954, ist Schriftsteller, Journalist und Dokumentarfilmer. Bekannt wurde er vor allem als Autor des Nachrichtenmagagzins "Der Spiegel". Er schrieb unter anderem die Bücher "Gottes heimliche Kinder. Töchter und Söhne von Priestern erzählen ihr Schicksal"sowie "Schläge im Namen des Herrn. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik". Foto: privat
Richtet sich Ihre Kritik an Benedikt XVI. speziell oder geht das gegen die Institution Papst?
Wensierski: Jeder Papst ist konservativ. Das war Papst Johannes Paul II, ebenso wie Joseph Ratzinger. Aber: Man darf ja nicht vergessen, dass Ratzinger viele Jahre unter Papst Johannes Paul II die Nummer zwei war und im Grunde genommen die Politik der Kirche als Chef der Glaubenskongregation seit drei Jahrzehnten maßgeblich mitbestimmt hat. Jeder Papst war konservativ in dem Sinne, dass er echte Reformen nicht zulässt, etwa, dass Frauen Priester werden können, dass Priester Frauen heiraten und Kinder haben können. Da wird kein Papst, weder Benedikt noch der nächste, so schnell rangehen.
Finden Sie denn, dass es an der Zeit für diese Reformen wäre?
Wensierski: Das liegt ja sogar klar im Interesse der Kirche selbst, die ja nicht einmal mehr genug zölibatäre Priester bekommt, um sich selbst zu reproduzieren. Es wäre zu wünschen, dass diese Themen nicht länger tabuisiert werden, dass ein offenes Gespräch darüber stattfindet. Es treten ja ununterbrochen Katholiken aus ihrer Kirche aus. Jeden Tag fährt, um es mal als drastisches Bild auszudrücken, ein gut besetzter Zug mit enttäuschten, resignierten Katholiken aus der Kirche. Da ist es an der Zeit für die katholische Kirche, zu handeln.
Joseph Ratzinger hat im Jahr 2000 in einer Erklärung festgestellt, dass die katholische Kirche die "einzig wahre Kirche" ist. Was sagen Sie dazu?
Wensierski: Die katholische Kirche sieht sich als die einzig wahre Kirche an. Und grundsätzlich ist man in der katholischen Kirche der Auffassung, dass sich die evangelische Kirche irgendwann mal wieder zurück in die katholische Kirche bewegt, aus der sie ja gekommen ist. Der Papst hat verschiedene Signale gegeben. Er hat die Protestanten vor einigen Jahren sehr vor den Kopf geschlagen, als er betont hat, dass die Evangelischen keine richtige Kirche sind. Er hat aber auch im vergangen Jahr sehr viel positiver über Ökumene, über Zusammenarbeit der Christen, gesprochen.
Wie wird sich der Papst jetzt zur Ökumene positionieren?
Wensierski: Ich denke, er wird hier in Deutschland einen Schwerpunkt setzen auf die Begegnung, auf versöhnlichere, nicht so polarisierende Töne mit den Vertretern der evangelischen Kirche, und er wird ein kleines Zeichen geben, dass man mehr Nähe und Zusammenarbeit will. Viele hoffen, dass es mehr wird als nur ein Lächeln und ein Händedruck. 30 Minuten soll das Gespräch mit den Vertretern der Protestanten sein, das ist nicht viel, aber ursprünglich sollte es noch weniger sein und Benedikt XVI. hat eigens mehr gewünscht. Im Grunde genommen ist die Basis der evangelischen und katholischen Kirche in der Gemeindearbeit viel weiter. Es gibt gemeinsame Gottesdienste. Es ist oben an der Spitze nicht das nachvollzogen worden, was unten im Alltag der Kirchen längst Realität ist. Da kann man einen Impuls des Papstes erwarten, der Protestanten erst einmal nicht wieder enttäuscht, das wäre schon viel.
Die offizielle Leitlinie der katholischen Kirche verbietet das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten. Warum tut sich die katholische Kirche in der Anerkennung der Protestanten so schwer?
Wensierski: Die katholische Kirche hat einen Wahrheits- und Allmachtsanspruch. Wenn man diesen Anspruch hat, dann muss man andere ausgrenzen. Ökumene ist ein Prozess, bei dem die Obrigkeit der katholischen Kirche nur sehr langsam von ihrem hohen Ross herunter steigt. Man darf da auch nicht zu viel erwarten, vielleicht ist ja das Miteinander von evangelischen und katholischen Christen im Alltag wichtiger als Erklärungen irgendwelcher Kommissionen und Repräsentanten. Ich glaube aber, dass es ein ehrliches Anliegen ist von Joseph Ratzinger als Papst Benedikt etwas für die Verständigung der Christen zu tun, als Pontifex Maximus hat er ja den Auftrag, Brücken zu bauen und nicht immer nur zu polarisieren und andere auszugrenzen und zu Christen zweiter Klasse zu erklären.