Hoyerswerda: "Der Unmut entlud sich an den Schwächsten"
Ein tobender Mob, Busse mit eingeworfenen Fenstern, Ausländer, die aus der Stadt flüchten: Vor 20 Jahren griffen Neonazis in Hoyerswerda über Tage Ausländerheime an. Die Bilder der Gewalt haben viele noch im Gedächtnis. Ein Ausstellung und ein Gottesdienst gedenken der Opfer.
15.09.2011
Von Marius Zippe

Vor DDR-Plattenbauten tobt ein Mob, Busse mit eingeworfenen Fenstern fahren hektisch Ausländer aus der Stadt. Hoyerswerda vom 17. bis 23. September 1991: Eine Auseinandersetzung zwischen Skinheads und vietnamesischen Markthändlern führt zu den damals größten ausländerfeindlichen Krawallen nach der deutschen Wiedervereinigung.

Erst nach Tagen kommen Tausende linke Demonstranten in die sächsische Stadt, um gegen die Neonazis zu demonstrieren. Der einstige Hoyerswerdaer Superintendent und heutige Ehrenbürger Friedhart Vogel erinnert sich an die aufgeheizte Situation. Er sei "völlig überrascht" worden, sagt er. Vogel setzte sich damals für die kurzfristige Unterbringung ausländischer Frauen und ihrer Kinder in kirchlichen Heimen ein.

Der evangelische Pfarrer verweist auf die sozial unsicheren Zeiten Anfang der 90er Jahre. Der Unmut habe sich an den Schwächsten entladen, sagt er. Tagelang greifen Rechtsradikale ein DDR-Vertragsarbeiterheim und ein Asylheim an. Sie werfen Brandsätze, Steine und andere Gegenstände, die Polizei wirkt hilflos. Es gibt über 30 Verletzte. Vor laufenden Kameras bekunden Bürger ihre Sympathie mit den Angreifern. Als ein großer Teil der Ausländer aus der Stadt gebracht wird, applaudieren sie lautstark.

Vogel: "Mit dem Hoyerswerda-Syndrom müssen wir leben"

Hoyerswerda steht am Anfang einer Serie schwerer ausländerfeindlicher Krawalle und Anschläge in Ost und West in den Folgejahren. Die Schauplätze sind Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Das Land ist entsetzt und ratlos. Nur wenige Tage nach den Hoyerswerda-Ausschreitungen übernimmt in Sachsen der CDU-Politiker Heinz Eggert das Innenministerium. Er sagt: "Man musste den Leuten klarmachen, dass sie die Probleme nicht mit Gewalt lösen können."

Hoyerswerda zählt zu den am meisten geschrumpften Städten der vergangenen zwei Jahrzehnte. Von den einst etwa 70.000 Einwohnern blieb nur gut die Hälfte. Neben dem Image der Schrumpfstadt klebt an Hoyerswerda seit 1991 das Etikett fremdenfeindlich. "Mit dem Hoyerswerda-Syndrom müssen wir leben", sagt Friedhart Vogel. Es dürfe aber nicht die ganze Stadt haftbar gemacht werden. Außerdem sei seitdem viel geschehen.

Zum 20. Jahrestag der Krawalle erinnert die Stadt an die Ausschreitungen. In der vergangenen Woche öffnete eine Ausstellung zu den Ereignissen. Oberbürgermeister Stefan Skora (CDU), der in Hoyerswerda ein lokales "Jahr der Vielfalt" mit vielen Veranstaltungen ausrief, entschuldigte sich zur Eröffnung offiziell bei den Opfern. Für Sonntag ist ein Gedenkgottesdienst geplant.

Linke Initiative fordert Denkmal

Aber nicht allen gehen die Gesten der Stadt und ihrer Einwohner weit genug. Die linke Initiative "Pogrom 91" sieht eine Verdrängung der Ereignisse und fordert die Errichtung eines Denkmals. Probehalber soll ein Entwurf bei einer Gedenkdemonstration am Samstag aufgestellt werden.

Nach Auskunft von Olaf Dominick aus dem Oberbürgermeisterbüro steht die Stadt einem Denkmal offen gegenüber. Konkrete Pläne gebe es aber noch keine, sagt er. Auch Anetta Kahane von der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung sieht in Hoyerswerda ein Bedürfnis, die Ereignisse von 1991 "nicht immer auf dem Tisch haben zu wollen".

Kahane, die nach den Krawallen zu den Mitgründern des lokalen Demokratievereins RAA gehörte, sieht dennoch auch Veränderungen. Es sei viel für Toleranz geworben worden: "Das hat auch Wirkung gehabt." Die inneren Einstellungen könnten zwar nur graduell geändert werden. Ein wichtiger Erfolg sei aber, dass die Leute sich jetzt in der Öffentlichkeit meist an die Regeln hielten.

Sachsens Ex-Innenminister Eggert kann sich eine Wiederholung der Ereignisse kaum vorstellen. Übergriffe seien zwar nicht auszuschließen. Er sei aber überzeugt, dass dann auch in Hoyerswerda entschlossener Widerstand aus der Zivilgesellschaft käme, sagt er. "Die ist gereift und ein ganzes Stück weiter."

epd