"Kling, klong" hallt es sechsmal über die Dächer der Stadt. Die Kirchturmuhr schlägt sechs Uhr. In einem Hinterhof im Szene-Viertel Bornheim in Frankfurt am Main wird an diesem Abend wild getuschelt. "Ich will prüfen, ob die Fahrt ein passendes Geschenk für meinen Schwiegervater zu seinem 60. Geburtstag ist", erzählt ein Mann mittleren Alters und ist gleich mit mehreren Arbeitskollegen angerückt, um herauszufinden, wie so eine Fahrt auf dem Segway sich anfühlt. Katrin Lauber, Inhaberin von "Mindways Segway Citytour Frankfurt", wird uns an diesem Abend zweieinhalb Stunden zusammen mit ihrem Mitarbeiter auf dem Segway zehn Kilometer durch die Stadt führen. Von März bis Oktober rollen ihre Gefährte durch die Stadt. Zwar gäbe es auch wintertaugliche Geräte, die sich ihren Weg über Eis und Schnee suchen könnten, das aber sei für eine Stadtrundfahrt zu kalt.
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Was für Außenstehende einfach aussieht, verspricht erst einmal ein ungewohntes Fahrgefühl. Der Segway hat zwei Räder und ist aufgrund eingebauter Neigesensoren in der Lage, selbstständig das Gleichgewicht zu halten und aufrecht zu stehen. Er hat weder einen Bremshebel noch ein Gaspedal. Beugt der Fahrer sich mit seinem Oberkörper nach vorne, bringt er es locker auf 20 Stundenkilometer. Lehnt er sich nach hinten, bremst der Roller ab. Katrin Lauber fährt bei ihrer Stadtführung mit uns mit neun Kilometer in der Stunde durch die Mainmetropole.
Das Segwayfahren will gelernt sein
Bevor wir zum ersten Mal auf den Segway steigen, erledigen wir erst einmal den Papierkram. "Ich bestätige, dass ich im Besitz eines gültigen Führerscheines für PKW, Motorrad oder Mofa bin und diesen während der Tour bei mir führe." Fahrradhelm tragen ist Pflicht, dann wird erst einmal das Fahren geübt. Wir steigen auf das Gerät und wir steigen wieder ab. Wir rollen an, bleiben stehen, dann fahren wir hintereinander im Hinterhof Parcour. Katrin Lauber weist uns auf die Gefahren hin. Auch auf dem Gerät selbst prangt ein Aufkleber mit der Aufschrift "Warnung! Lebensgefahr oder Gefahr schwerer Verletzungen durch Zusammenstösse und Stürze". Gefährlich kann es werden, wenn der Segway ein Hindernis wie einen zu hohen Bordstein nicht schafft und eines der Räder blockiert. Dann kreiselt das Gerät und der Fahrer fällt vom Trittbrett.
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Die Idee kommt aus den USA. Ursprünglich wurde das Gefahrt 2001 vom US-amerikanischen Unternehmer und Tüftler Dean Kamen mit der Vision entwickelt, die Belastung durch Autoverkehr und Abgase in Städten zu verringern. Apple-Gründer Steve Jobs bezeichnete diese Erfindung als "so signifikant wie den Personal-Computer". In den USA fahren vor allem Ältere und Versehrte mit dem Gefährt. Die Technik ermöglicht es, ausbalanciert auf einer Achse zu fahren. 2006 gab es eine Rückrufaktion, weil ein Softwarefehler bewirken konnte, dass der Fahrer ungewollt über den Lenker ging. Ex-US-Präsident George W. Bush geschah dies sogar ohne Softwarefehler bei einem Ausflug.
Die Geräte sind teuer und fahren erst seit 2009 auf Deutschlands Straßen
In Deutschland wird der Segway von Polizei und Rettungsdiensten eingesetzt, auch für Stadtführungen und auf Golfplätzen findet er Verwendung. Als Verkehrsmittel haben sich die Geräte aber bislang weder in den USA noch in Europa durchgesetzt. "Sie sind einfach zu teuer", sagt Lauber. So kostet er in Deutschland 8.300 Euro, mit TÜV, Licht, Klingel und kompletter Vollmontur 9.000 Euro. Außerdem wiegt er rund 50 Kilogramm. Studien schätzen allerdings das Unfallrisiko im Vergleich zum Fahrrad niedriger ein. In der Werbung würde gezeigt, wie ein Kunde mit dem Segway in einen Laden fahre und mit einem Kaffeebecher in der Hand wieder rausrolle, erzählt Lauber. Das sei aber noch lange nicht gelebte Wirklichkeit in Deutschland.
Jahrelang diskutierten die politischen Parteien im Lande, wie sicher der Segway tatsächlich sei und ob er wirklich niemals kippe. Daher ist er in Deutschland erst seit 2009 zugelassen. In Frankfurt jedoch war man mit dem futuristischen Roller schon vorher auf den Straßen unterwegs, Katrin Lauber hatte sich für ihr Unternehmen eine Sondergenehmigung besorgt. Seit dem 25. Juli 2009 darf der Elektroroller in Deutschland laut der "Verordnung über die Teilnahme elektronischer Mobilitätshilfen am Verkehr" zumindest auf Radwegen fahren. Auf der Straße darf man sie bewegen, wenn keine Radwege vorhanden sind. Für das Gefährt wurde eine eigene Fahrzeugklasse geschaffen. Voraussetzung, um damit fahren zu dürfen, sind ein Mofa-Führerschein und eine Haftpflichtversicherung.
Alles erinnert an Ben Hur: Menschen winken und lächeln uns zu
Wir fahren Kolonne. Und per Lautsprecher werden uns die Sehenswürdigkeiten der Stadt erklärt, die gleich einer Kulisse an uns vorbeirauschen, zwischendurch tönt klassische Musik. Ein Jogger überholt uns rechts, eine Mutter mit Kinderwagen bleibt stehen und lächelt uns zu, wie die Fahrerin im schwarzen Porsche. Mit Radfahrern teilen wir uns die Strecke, ein Inline-Skater rauscht vorbei. Schnell verbindet sich das eigene Gleichgewichtsgefühl mit der technischen Unterstützung durch das Gerät. Und wir brausen durch die Frankfurter Grünanlage, am Fluss entlang, rasch über die Brücke und schnell wieder zurück in das Zentrum der Stadt, vorbei am Rathaus "Römer", der Oper und der quirligen Einkaufsstraße.
Auf unserem Weg durch die Stadt machen wir zwei Pausen. Diese Zeit nutzen wir, um unsere Arme und Beine zu lockern. Ein Trick fürs Bremsen: Bei einer Vollbremsung, wirft man sich mit seinem Körper schnell nach hinten und geht in die Hocke, um die Bremswirkung zu verstärken. Das klappt. Auf dem Segway präsentiert man sich der Öffentlichkeit in voller Schönheit: Keine Schweißperlen auf der Stirn trüben den Blick wie beim Strampeln mit dem Fahrrad. Beim Segwayfahren gleitet man elegant durch die Stadt und überrascht damit seine Mitbürger. Und immer erinnern die, die auf ihm fahren, ein bisschen an Ben Hur. Viele Menschen bleiben stehen, lachen, Autos hupen, man fühlt sich beachtet.
Die Segways bringen ein urbanes Lebensgefühl in die Stadt
Auf kleinen Verkehrsinseln, inmitten dicht befahrener Straßen, warten wir vor einer roten Ampel. Ähnlich wie auf einem schnaufenden Ross fühle ich mich wie ein Reiter, der erst sein Pferd zügelt, um dann im Sprint durch den Wald zu galoppieren. So hält auch der Stehroller nicht still, sondern vibriert, rollt wenige Zentimeter vor und blindlings wieder zurück oder neigt sich zur Seite, wenn ich vor Ungeduld vergesse, Ruhe zu wahren.
Am Ende der Fahrt erhält jeder Teilnehmer von Katrin Lauber zum Spaß einen Segway-Führerschein aus Papier. Auch als Geburtstagsgeschenk für den Schwiegervater habe sich die Fahrt bewährt, sagt mein Mitfahrer. Und der elektrische Roller liegt im benzinfreien Umwelt-Trend: Nach jeder Tour werden die Akkus wieder frisch an die Steckdose gestöpselt und aufgeladen.
"Ob der Segway ein geeignetes Verkehrsmittel für die Zukunft ist, kann erst beurteilt werden, wenn Erfahrungsberichte über den Einsatz vorliegen. Aufgrund der Kürze der Verwendung des Segways im Verkehr ist dies noch nicht möglich", sagt das Bundesverkehrsministerium in Berlin. Ein Massen-Verkehrsmittel der Zukunft in Deutschland ist der Segway damit wohl eher nicht. Die Anschaffungskosten sind zu hoch. Dafür trifft das Lifestyle-Fortbewegungsmittel, das neue "Stehen to go", das Lebensgefühl vieler Großstädter.
Markus Bechtold ist Redakteur bei evangelisch.de.