Fukushima und die Panik: Atom-Zwischenfall in Frankreich
Panik kam auf und ebbte dann wieder ab: Frankreich erlebte am Montag einen größeren Unfall in einer Atomanlage. Ein Mensch starb, aber die Umwelt blieb verschont. Das Thema Atom ist seit Fukushima auch in Frankreich heikel.
12.09.2011
Von Ulrike Koltermann

Es war der erste größere Unfall in einer Atomanlage in Frankreich seit der Katastrophe in Fukushima. Ein Mensch kam ums Leben, vier weitere wurden verletzt. Sie wurden nicht verstrahlt, sondern waren Opfer einer Explosion eines Brennofens. "Ein Industrieunfall", betonte Energieminister Eric Besson. Aber es war eben nicht irgendeine Industrie, sondern die Atomindustrie. Und dort liegen seit Fukushima die Nerven blank - im Atomland Frankreich mit seinen 58 Reaktoren ganz besonders.

Früher spielten sogenannte "Zwischenfälle" in Atomanlagen in Frankreich kaum eine Rolle. Statistiken, wie viele Unfälle mit welcher Sicherheitsstufe es pro Jahr gab, wurden nicht veröffentlicht. Debatten um Laufzeitverlängerungen oder Endlager gab es nur in Expertenkreisen. Selbst bei einer landesweiten Umweltdebatte war Atomenergie kein Thema. Frankreich hatte sich mit der Atomkraft arrangiert. Schließlich kostet der Atomstrom die Verbraucher auch deutlich weniger als in den Nachbarländern. Seit Fukushima bröckelt der Atomkonsens jedoch.

Blitzbesuch der Umweltministerin

Der Unfall nahe der Atomanlage von Marcoule, etwa 30 Kilometer nördlich des beliebten Touristenortes Avignon, hat deutlich gemacht, dass die Zeiten sich geändert haben. Eilmeldungen, Laufbänder im Fernsehen, eine Notfallnummer, ein Blitzbesuch der Umweltministerin: Panik flammte auf. Wenig später gab es beruhigende Details: Bei der Explosion in der Centraco-Anlage sei keine Radioaktivität freigesetzt worden, teilte die Atomaufsicht mit. Das Gebäude des Brennofens sei intakt, das Feuer unter Kontrolle. Auch das Innenministerium besänftigte: Es habe nicht einmal eine Evakuierung gegeben.

In der betroffenen Anlage, die von der EDF-Tochter Socodei betrieben wird, werden schwach radioaktive Abfälle verbrannt oder eingeschmolzen. Die Reste werden zusammengepresst und dann in ein Zwischenlager für Atomabfälle gebracht. Die französische Atomaufsicht ASN hatte bereits zuvor Sicherheitsmängel an der Anlage festgestellt. "Im Jahr 2011 wird ASN insbesondere die Ingenieursarbeiten kontrollieren", hieß es in dem Bericht der Behörde im vergangenen Jahr. Darin zeigte sich die Atomaufsicht auch besorgt über mögliche Umweltschäden wegen chemischer Abfälle.

Der Unfall verschaffte den französischen Atomkritikern mehr Gehör, als sie sonst in Frankreich gewohnt sind. Und im kommenden Frühjahr wird gewählt. "Sechs Monate nach Fukushima zeigt dieser Unfall, dass Atomenergie ein inakzeptables Risiko bedeutet", meint die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Eva Joly. "Es ist Zeit für den Ausstieg." Bislang fordert dies in Frankreich nur eine winzige Minderheit - doch Zwischenfälle wie dieser könnten den Atomkonsens weiter dahinschmelzen lassen.

In Deutschland: Schacht Konrad

In Deutschland gibt es keine Anlage, wo ähnlich wie im französischen Atomkomplex Marcoule mit seinen Außenstellen Atommüll im großen Stil verbrannt wird. Per Filter werden in Marcoule radioaktive Stoffe abgesondert und in Glas oder Beton eingegossen. Dabei geht es vor allem darum, das Müllvolumen zu reduzieren. In Deutschland kommt der Müll meist in Zwischenlager, viele befinden sich an den Atomkraftwerken. Schwach- und mittelradioaktive Stoffe sollen künftig und auf Dauer in das Lager Schacht Konrad in Salzgitter gebracht werden. Es ist aber frühestens 2014 startklar.

Anders als Frankreich hat Deutschland keine eigenen Wiederaufarbeitungsanlagen für die Behandlung von Atommüll. In Karlsruhe war ein Prototyp dafür von 1971 bis 1990 in Betrieb (WAK). Das Projekt diente als Vorbereitung für die kommerzielle Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente im bayerischen Wackersdorf. Als diese Pläne scheiterten, wurde auch die WAK geschlossen. Übrig blieben 60 000 Liter flüssiger Atommüll, der verglast wurde und nun zunächst unter anderem in das Zwischenlager Nord in Lubmin gebracht wird, bevor der Müll in ein Endlager kommt.

dpa