"Endlich", jubelten Menschenrechtler und Liberale. "Das ist ein großer Tag für die Rechtsstaatlichkeit." Es war der 20. Januar 2009 oder in anderer Zeitrechnung der 2569. Tag nach Errichtung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay. Just im Amt hatte sich Präsident Barack Obama mit einer Reihe von Anordnungen anscheinend klar vom Kurs seines Vorgänger George W. Bush abgesetzt: Schluss mit CIA-Geheimgefängnissen, mit der Folter von Terrorverdächtigen, Schluss mit Guantánamo in spätestens einem Jahr. "Amerika übernimmt wieder die Führung, nicht nur durch Worte, sondern durch Beispiel", freute sich Demokrat John Kerry. Zu früh?
Gut zweieinhalb Jahre nach Obamas Einzug ins Weiße Haus, zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September, hat sich deutlich Enttäuschung breit gemacht bei jenen, die auf eine radikale Abkehr von den Menschen- und Bürgerrechtspraktiken der Bush-Zeit im Kampf gegen den Terror hofften – bei deutschen Bischöfen ebenso wie bei amerikanischen Bürgerrechtlern.
"Die Amerikaner erlauben es weiterhin, dass die Angst vor Terrorismus unseren politischen und rechtlichen Kurs beherrscht", meint Ben Wizner von der American Civil Liberties Union (ACLU), der größten Bürgerrechtsorganisation in den USA. Wizner sieht die Gefahr, dass sich die USA zu einem "Sicherheitsstaat" entwickeln, einem Land "in permanentem Ausnahmezustand, in dem sich manifestiert, dass sich die Grundwerte den ständig wachsenden Anforderungen der nationalen Sicherheit unterzuordnen haben".
Obama hat Folter verboten, ansonsten enttäuscht
Die Bush-Regierung hatte nach dem 11. September 2001 nicht lange gefackelt, manches kam erst Jahre später ans Licht. Fast 800 Menschen, nahezu alle waren Muslime, wurden in den ersten Wochen danach im Zuge einer Schleppnetz-Aktion in den USA festgenommen, viele blieben wochenlang in Gewahrsam, keiner war wirklich ein Terrorist, wie sich später herausstellte. Dann gab Bush grünes Licht für illegale Lauschoperationen gegen hunderte, möglicherweise sogar tausende Amerikaner. Die CIA verschleppte derweil nach Schätzungen bis zu 3000 Terrorverdächtige in Geheimgefängnisse, "black sites" (schwarze Orte) rund um die Welt, allein 1245 dieser Transportflüge führten durch europäischen Luftraum, hieß es später in einem EU-Report.
Häftlinge wurden im CIA-Gewahrsam "harschen Verhörmethoden" ausgesetzt - nach internationalem Recht nichts anderes als Folter. Dazu gehörte das Waterboarding, das simulierte Ertränken - 183 Mal in einem Monat wurde es bei Chalid Scheich Mohammed angewendet, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September.
Obama hat diese Methode und insgesamt Folter verboten. Andrea Prasow, Terrorabwehr-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sieht darin und in der Schließung der CIA-Gefängnisse "große Fortschritte". Aber sie beklagt, dass Obama in vielen anderen Punkten nicht konsequent gewesen sei: "Wir sind schwer enttäuscht."
Folter als "unglückliche Politikwahl" statt Verbrechen
Die Liste der Beschwerden ist lang. Guantánamo bleibt auf lange Sicht offen. Terrorverdächtige werden weiterhin dort vor Sondertribunale gestellt und nicht vor ordentliche Gerichte auf US-Boden. Bestimmte Gefangene sollen weiterhin ohne Prozesse dauerhaft festgehalten werden können. Vor Kurzem hat der Kongress ein weiteres Mal Provisionen des "Patriot Act" verlängert, die den Behörden weitreichende Befugnisse zur Überwachung von terrorverdächtigen Amerikanern geben. Die Bundespolizei FBI soll nach Medienberichten in Kürze erweiterte Rechte für Schnüffelaktionen erhalten.
Was Menschen- und Bürgerrechtler nach eigenen Angaben aber besonders aufbringt: Obama sperrt sich entschieden gegen eine Strafverfolgung jener Topleute in der Bush-Zeit, die grünes Licht für Foltermethoden wie das Waterboarding gaben. "Er hat Folter eher als eine unglückliche Politikwahl behandelt als ein Verbrechen", krtisiert die Human Rights Watch. Damit bleibe die Tür für kommende Regierungen offen, die Praktiken wieder anzuwenden. Der frühere Bush-Vize Richard Cheney wäre durchaus dafür, wie er noch im Mai bekräftigte. "Es hat funktioniert. Es hat uns geheimdienstliche Erkenntnisse von lebenswichtiger Bedeutung gebracht."
Wizner, ACLU-Experte für Sicherheitsfragen, sieht eine Strategie politischer Kreise, "die Terrorangst bewusst für politische Zwecke ausschlachtet". Obama gehöre nicht dazu, aber er habe nicht genügend für seine Positionen gekämpft: "Er hat die Angst akzeptiert - und vor ihr kapituliert."