TV-Tipp des Tages: "Das Wunder von Bern" (BR)
Jahrelang war es eine eherne Regel: Fußballfilme funktionieren nicht; bis Sönke Wortmann "Das Wunder von Bern" drehte. Das Fußballmärchen ist bis heute Wortmanns reifstes Werk. Und das Schönste daran: Man braucht nicht mal Fußballfan zu sein, um so richtig Spaß zu haben.
09.09.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Das Wunder von Bern", 10. September, 20.15 Uhr im Bayrisches Fernsehen

Im Zentrum der Handlung stehen nicht die elf Freunde, sondern eine typische Essener Familie aus der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre. Vater (Peter Lohmeyer) steigt nach über zehn Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft eines Tages aus dem Zug, umarmt seine mittlerweile erwachsene Tochter, weil er sie für seine Frau hält, und beäugt misstrauisch den Jüngsten, Matthias (Lohmeyers Sohn Louis Klamroth), der während eines Fronturlaubs gezeugt wurde.

Zuschauer fiebern dem Finale entgegen

Parallel zur Neugründung einer Familie findet sich jene Mannschaft, die bald darauf einer ganzen Nation neues Selbstwertgefühl schenken sollte. Während Wortmann für den Kohlenpott bloß Tristesse und fahle Farben übrig hat, zeigt er die paradiesische Schweiz als Postkartenkitsch. Bindeglied zwischen Revier und Rasen ist Matthias, der Helmut Rahn (Sascha Göpel), dem Star von Rot-Weiß Essen, immer die Tasche zum Trainingsplatz trägt.

Natürlich weiß Wortmann, dass viele Zuschauer dem Finale entgegenfiebern. Geschickt und gemein spielt er mit diesen Erwartungen, indem er die Vorrundenspiele auf Radioreportagen reduziert; zu sehen sind derweil die Jungs aus Essen, die mit einem zerrupften Ball die Spielszenen auf der Straße oder dem Bolzplatz nachstellen.

Intensiver ist ohnehin das Familienleben. Ein klapperdürrer Lohmeyer legt keinerlei Wert darauf, dass man für den Spätheimkehrer Mitleid oder gar Sympathie verspürt. Zum Versöhnungsfestmahl tötet er Matthias' geliebte Kaninchen. Immer wieder sorgt Wortmann für solche Kontraste; Sieg und Niederlage liegen stets ganz nah beieinander. Und immer wieder sind es vor allem kleine Szenen, denen der Film seine Größe verdankt: als Lubanski unter Tage in Panik gerät, weil sich die Presslufthämmer wie Maschinengewehrfeuer anhören; oder als die komplette Mannschaft am Morgen des Endspiels aus den Hotelfenstern schaut, um zu sehen, ob's Fritz-Walter-Wetter gibt.

Die fußballerische Ebene bietet überhaupt viel Heiterkeit: weil Herbergers Mannen (ausnahmslos von unbekannten, aber fußballerisch talentierten Darstellern verkörpert) ein fröhlicher Haufen sind. Und dann ist da noch Ackermann (Lucas Gregorowicz, der hier aussieht wie Wigald Boning), Sportreporter der "Süddeutschen", der seine scharfzüngige Braut Annette (Katharina Wackernagel) im Schlepptau hat, obwohl ihn sein Chef gewarnt hat: Frauen seien der natürliche Feind des Fußballs. Immerhin ist es Annette, die schließlich gemeinsam mit Matthias für das märchenhafte Ende des Betriebsausflugs nach Bern sorgt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).