Chang Ping hat mit Heinrich Böll (1917-1985) eines gemeinsam: Er will ein nützlicher Mensch für seine Gesellschaft sein. Nützlich findet es der Journalist aus China, Menschenrechte und Gleichberechtigung aller Völker, insbesondere der Tibeter, anzumahnen. "Ich habe mit meinen Artikeln in Zeitungen landesweite Diskussionen ausgelöst - und drei Mal meine Stelle verloren."
Das erzählt der 42-jährige Chang Ping in der Ruhe der Eifel. Im einstigen Wohnhaus Bölls lebt er dort jetzt für einige Monate auf Einladung der Böll-Haus-Stiftung und plant seine Zukunft. Chang Ping rechnet damit, dass er nach China zurückkehren und seine Arbeit fortsetzen kann, auch wenn er dort weiterhin schikaniert wird. Für viele verfolgte Schriftsteller war das Haus in den letzten 20 Jahren eine Station ihres jahrelangen Exils.
Böll sagte: "Dies ist ein Mensch, der seine Heimat verloren hat"
Der erste war Alexander Solschenizyn. Der "Archipel Gulag", in dem der russische Schriftsteller die Gräuel in den sibirischen Straflagern schildert, war gerade erschienen, als er gefangen genommen und aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde. Noch am selben Tag, am 13. Februar 1974, traf er in dem Dörfchen Langenbroich bei Düren, westlich von Köln, ein, bei seinem deutschen Freund Heinrich Böll.
Beide waren Träger des Literaturnobelpreises - Solschenizyn 1970, Böll 1972. Beide waren moralische Instanzen ihrer Länder. Einen Moment lang rückten sie den Innenhof des Hauses mit den Eifeler Bruchsteinmauern auf die Weltbühne. Böll sagte damals ins Blitzlichtgewitter der Reporter: "Dies ist ein Mensch, der seine Heimat verloren hat. Das ist eines der härtesten Schicksale." Solschenizyn blieb nur wenige Tage. Sein Exil sollte aber 20 Jahre dauern.
Das Haus von Heinrich Böll in der Eifel. Foto: epd-bild/Guido Schiefer
Längst ist in dem Haus wieder Ruhe eingekehrt. Chang Ping lebt dort mit drei Kollegen. Ye Kai kommt auch aus China. Ali Badr stammt aus dem Irak und Hassouna Mosbahi aus Tunesien, beide sind seit Jahren auf der Flucht vor den autokratischen Herrschern ihrer Länder. Jeweils vier Autoren werden von der Heinrich-Böll-Haus-Stiftung in das Haus eingeladen und erhalten ein Arbeitsstipendium. Getragen wird die Stiftung von der Familie Böll, der Stadt Düren, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.
Jeder Gast ist in einem einfach eingerichteten Appartement untergebracht. Bölls Veranda, das Kaminzimmer und ein Teil seiner Bibliothek sind allen zugänglich. Es ist ein Idyll und zugleich ein Ort des Widerstands: "Indem Autoren hier vor Regierungen, die sie mundtot machen wollen, sicher sind und gleichzeitig untereinander Kontakte knüpfen, kämpfen sie weiter gegen Zensur und für geistige Freiheit", sagt die Kölner Autorin Karin Clark vom Vorstand der Heinrich Böll-Haus-Stiftung. "Das wäre Heinrich Böll sehr wichtig gewesen."
Badr schreibt eine Familiensaga aus dem Nachkriegs-Irak
Clark bedauert nur, dass zu wenige Schriftsteller aus Schwarzafrika in das Haus kämen. "Es gibt in ihren Ländern große Literatur, aber keinen Literaturbetrieb", erläutert sie. Autoren haben nur ihre Manuskripte. Das reicht Machthabern wie Robert Mugabe in Simbabwe, sie zu verfolgen, es reicht westlichen Botschaften aber nicht aus, um sie als schutzwürdige Schriftsteller anzuerkennen. "Afrikanern präsentieren wir uns als geschlossene Gesellschaft", sagt Clark.
Ali Badr aus dem Irak begibt sich, wie Chang Ping aus China, auch auf die Spuren von Heinrich Böll und findet, dass er mit keinem Schriftsteller so viel gemeinsam hat. "Wir waren beide Soldaten, wir waren beide in amerikanischer Kriegsgefangenschaft", erläutert er - Böll nach dem Zweiten Weltkrieg, Ali Badr nach dem Irak-Krieg von 2003. "Und wir beschäftigen uns beide mit der Geschichte unserer Länder."
Ali Badr bewundert Bölls Nachkriegsliteratur. "Sie hat den Deutschen einen Weg in die Demokratie gewiesen", meint der 46-jährige Schriftsteller, der 20 Bücher geschrieben hat, viele davon mit Preisen ausgezeichnet. Ali Badr lebt in Belgien im Exil, er äußert sich auch nach dem Sturz von Saddam Hussein offen und kritisch. "Die Iraker müssen endlich selbst Verantwortung für ihr Land übernehmen", sagt er.
Das Buch, an dem er gerade arbeitet, soll dazu beitragen. Die Familiensaga soll der wegweisende Nachkriegsroman des Irak werden, hofft Ali Badr. Er ist ein temperamentvoller Mann mit leuchtenden Augen. "Ich erzittere manchmal geradezu vor Glück, dass ich hier im Haus von Heinrich Böll sein kann und so viel Ruhe zum Schreiben habe wie noch nie in meinem Leben."