Papstbesuch an einem Ort des Aufbruchs
Die Vorbereitungen auf das Großereignis sind nicht zu übersehen: Zwei Wochen vor dem Papstbesuch in Erfurt legen am und im evangelischen Augustinerkloster Bauarbeiter letzte Hand an. Festgeschweißte Kanalisationsdeckel in den Anliegerstraßen verweisen auf die bevorstehende höchste Sicherheitsstufe in der Thüringer Landeshauptstadt. Das historische bedeutsame Kloster bereitet sich auf die Begegnung von Benedikt XVI. mit der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor.
08.09.2011
Von Thomas Bickelhaupt

Für Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt ist das Zusammentreffen im einstigen Kloster des späteren Reformators Martin Luther (1483-1546) eine "große ökumenische Geste" und "eine außerordentliche Würdigung der besonderen Tradition des Ortes". Zudem könnte von dem Gespräch mit den Protestanten und dem anschließenden Gottesdienst am 23. September für den weiteren ökumenischen Dialog "eine Initialzündung" ausgehen, gab sich der Theologe am Donnerstag in Erfurt optimistisch.

Das Augustinerkloster ist einer der bedeutenden Orte der Reformation in Deutschland. Der spätere Reformator Martin Luther (1483-1546) trat 1505 in das Kloster ein, ehe er 1517 mit seinem Thesenanschlag an die Schlosskirche in Wittenberg die Reformation einleitete. Später predigte Luther auf seinem Weg nach Worms in der Augustinerkirche. Der Thesenanschlag jährt sich im Jahr 2017 zum 500. Mal.

Ringen um den gnädigen Gott

Das Kloster aus dem 13. Jahrhundert war in seiner langen Geschichte schon mehrfach ein Ort des Aufbruchs. Luther als der wohl berühmteste Mönch verdankte den Augustiner-Chorherren wesentliche Impulse für sein späteres Wirken als Reformator. Sein gescheitertes Ringen um einen "gnädigen Gott" lenkte die Aufmerksamkeit schließlich auch auf kirchliche Missstände im ausgehenden Mittelalters. "In Erfurt wurde das Feld bereitet, in Wittenberg wurde geerntet", sagte der Erfurter Kirchengeschichtler Andreas Lindner.

An seine reformatorischen Traditionen knüpfte das Augustinerkloster besonders in den Jahrzehnten der deutschen Teilung an. Dabei habe sich das Kloster "ökumenisch weit geöffnet", sagte der langjährige Erfurter Propst Heino Falcke. Als Beispiele nannte der prominente Vordenker der evangelischen Kirchen in der DDR den Einweihungsgottesdienst nach dem mehrjährigen Wiederaufbau im Juni 1989 mit dem Anti-Apartheid-Pfarrer Wolfram Kistner, aber auch zahlreiche Begegnungen zwischen Kirchen aus Ost und West.

Dazu gehörten das 2. Sagorsker Gespräch mit der Russisch-Orthodoxen Kirche in den 1970er Jahren ebenso wie Vorbereitungstreffen der Ökumenischen Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Alle diese Gespräche seien damals nicht von "interkonfessionellen Kontroversen" geprägt gewesen, sondern von der gemeinsamen Suche nach Antworten auf gesellschaftliche Fragen aus christlicher Perspektive. "Im ökumenischen Dialog waren wir schon ziemlich weit", fügte der Theologe hinzu.

Klostermauern boten Schutz vor Stasi

In den letzten Jahren der DDR boten die dicken Klostermauern gesellschaftskritischen kirchlichen und unabhängigen Gruppen einen zuverlässigen Schutz vor Abhöraktionen der Staatssicherheit. Erst später wurde in einem Dachwinkel ein verstecktes Stasi-Fernrohr entdeckt. Im September 1989 gründete sich in der Augustinerkirche der Demokratische Aufbruch für Thüringen als neue Partei in der Noch-DDR. In der Veranstaltung saßen zufällig auch einige Luther-Touristen aus den USA. Ihre "merkliche Verwirrung" sei nicht zu übersehen gewesen, erinnerte sich Falcke: "Sie merkten, dass sie in den Anfang einer Revolution gerieten."

35 Minuten lang wird der Papst im Kapitelsaal des Augustinerklosters mit der EKD-Delegation sprechen. Das Treffen mit dem katholischen Kirchenoberhaupt bietet für beide Seiten die Möglichkeit zu fragen, "wie können wir gemeinsam auf das 500-jährige Jubiläum zugehen", sagte Gundlach. Er äußerte die Hoffnung auf einen weiteren evangelisch-katholischen Austausch nach dem Erfurter Treffen zu dem Jubiläum. "Vielleicht schaffen wir es, die Bedeutung der Reformation für beide Kirchen in den Blick zu nehmen."

Als weitere mögliche Themen nannte der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes die Minderheitensituation katholischer wie evangelischer Christen in Ostdeutschland. Hier hätten katholische und evangelische Kirche eine Verantwortung zum gemeinsamen Zeugnis des Glaubens. "Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als das, was uns trennt". Darüber verwies er auf Fragen der Taufpatenschaften als Gesprächsthema. Derzeit können evangelische Christen zwar Taufzeugen bei einer katholischen Taufe sein, aber nicht das Amt eines Taufpaten übernehmen. Die EKD begeht in Vorbereitung auf das Lutherjubiläum das Jahr 2011 als Jahr der Taufe.

Gemeinsam in der Minderheit

Die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann erhofft sich von dem Treffen in Erfurt vor allem eine Belebung der Ökumene. "Wir sind in Mitteldeutschland gemeinsam in einer Minderheitensituation", sagte die Bischöfin. Zugleich äußerte Junkermann die Erwartung, dass die Situation von konfessionsverschiedenen Ehepartnern mehr in den Blick genommen werde. Es müsse die Situation wahrgenommen werden, dass diese Christen nicht gemeinsam zum Abendmahl gehen könnten.

In Mainz verwies Kardinal Karl Lehmann auf den Symbolcharakter des Erfurter Treffens. "Vor einigen Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen", sagte der katholische Bischof am Donnerstag. Ob der Papst sich in Erfurt zur Bedeutung Luthers und der Reformation äußern werde, wisse er jedoch nicht. Der Zeitplan des Papstes sei so mit Terminen gefüllt, dass er keine wesentliche Fortschritte bei der geplanten Begegnung mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche erwarte, sagte Lehmann.

Lehmann sagte, er selbst wünsche sich sehr, dass Katholiken und Protestanten sich bei dem Papstbesuch auf ein großes ökumenisches Projekt verständigen könnten - etwa auf eine gemeinsame Bewertung der Reformation bis zum 500. Jahrestag im Jahr 2017. Bei den Bemühungen um mehr Gemeinsamkeiten dürften sich die Gespräche nicht allein um den Streitpunkt des gemeinsamen Abendmahls drehen, forderte der Kardinal.

"Keinerlei Unterwerfungsgesten"

Zu Protokollfragen während des Papst-Treffens sagte Gundlach in Erfurt, die EKD-Vertreter würden "keinerlei Unterwerfungsgesten" an den Tag legen. Der Papst werde, wie vom Protokoll verlangt, mit "Eure Heiligkeit" angesprochen. Ergänzt werde diese Anrede durch die Worte "lieber Bruder in Christus". Landesbischöfin Junkermann betonte, sie werde bei dem Treffen kein Kopftuch tragen.

EKD und Bischofskonferenz gaben am Donnerstag zudem die Teilnehmer bekannt. An dem evangelisch-katholischen Gespräch im Erfurter Augustinerkloster werden von jeder Konfession jeweils 20 Vertreter teilnehmen. Auf evangelischer Seite sind dies neben dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider unter anderen Synodenpräses Katrin Göring-Eckardt sowie mehrere Bischöfe und Ratsmitglieder; auf katholischer Seite der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sowie die Kardinäle Kurt Koch und Walter Kasper. An die Begegnung schließt sich ein ökumenischer Wortgottesdienst an mit 300 geladenen Gästen.

epd