Die Welt ist gut und böse zugleich
In ihrer Morgenandacht im Deutschlandfunk geht Pfarrerin Annette Bassler aus Mainz auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 ein. Viele Menschen haben mit Angst auf dieses Ereignis reagiert. Die Autorin ermutigt zu einem realistischen Umgang mit der Angst - und zum vertrauensvollen Gebet zu Gott.
08.09.2011
Von Annette Bassler

"In der Welt habt ihr Angst" - Jesus hätte nicht besser auf den Punkt bringen können, was Menschen rund um den Globus bewegt, damals vor zweitausend Jahren und heute, zehn Jahre nach den Terroranschlägen von New York. "In der Welt habt ihr Angst." Noch heute spüre ich die Lähmung, die mich damals befallen hat. Stundenlang saß ich vor dem Fernseher.

Wie in einer Schockstarre habe ich die beiden Flugzeuge in die Türme krachen sehen, immer und immer wieder. Diese Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannt, zusammen mit dem Gefühl von Angst. "In der Welt habt ihr Angst." Mit diesem Satz reagiert Jesus allerdings nicht auf ein traumatisches Ereignis seiner Zeit. Er sagt das sozusagen unter heiterem Himmel.

Und er meint damit, dass Angst zum Leben gehört wie Hunger, Durst und Müdigkeit. Angst ist kann überbordend werden in der Folge einer traumatischen Erfahrung. Solange der Mensch etwas zu verlieren hat, und sei es sein Leben - so lange hat der Mensch Angst. Daran ändert auch der stärkste Glaube nichts. "In der Welt habt ihr Angst", sagt Jesus, "aber ich habe die Welt überwunden". Die Welt überwinden oder auch besiegen... Was für ein Sieg ist das?

Die Welt lässt sich nicht in gut und böse aufteilen

Jesus hat in seinen Begegnungen mit den Menschen seiner Zeit immer wieder gezeigt: die scheinbar Guten sind manchmal die Bösen. Die scheinbar Gottlosen können die wahrhaft Frommen sein. Gut und Böse liegen nicht offen vor Augen. Ja, jeder Mensch ist von beidem durchdrungen. Weshalb sich die Welt nie aufteilen lässt in Gute und Böse. Will man wissen, wer die Bösen sind, muss man Menschen mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Der "Krieg gegen den Terror", den der amerikanische Präsident Bush vor zehn Jahren der Welt erklärt hat, sollte Frieden bringen. Aber er hat die Welt nicht friedlicher gemacht, im Gegenteil. Darin sind sich Friedensforscher heute einig.

Aber wie sollte so ein Krieg das auch können? Wenn er die Welt einteilt in gute Staaten und Schurkenstaaten? Wenn Folter und Menschenrechtsverletzungen begangen werden, sogar von denen, die im Namen der Menschenrechte auftreten? Wenn Kriegshandlungen ständig die Nervosität auf dem globalen Finanzmarkt befeuern? Bis heute gibt es im internationalen Recht keine klare Definition davon, was Terrorismus eigentlich ist und wen man zu den Terroristen zählen muss. Es gibt weder eine räumliche noch eine zeitliche Begrenzung dieses Krieges. Und es gibt keine Erklärung darüber, wann ein Sieg oder eine Niederlage in diesem Krieg erreicht ist.

Nur klare Regelungen im Völkerrecht, an die sich alle Nationen des UN- Sicherheitsrates und der Nato halten, könnte die Ängste auf beiden Seiten begrenzen und befördern, worum es allen ja geht: das Menschenrecht auf ein Leben in Freiheit von Furcht. "In der Welt habt ihr Angst, aber ich habe die Welt überwunden." Dieser Satz Jesu klingt daneben geradezu naiv. Und doch enthält er zwei wichtige Wahrheiten.

Angst und Vertrauen ins Gebet nehmen

Erstens: Wir haben nicht die Wahl zwischen einem Leben mit oder ohne Angst. Wir haben nur die Wahl, wie wir mit der Angst umgehen wollen. Statt aussichtslos gegen die Angst zu kämpfen, können wir sie annehmen und uns ihre produktive Kraft zunutze machen: Sie hilft uns nämlich, Menschen und Dinge so zu sehen, wie sie sind - zwiespältig, ambivalent, gut und böse zugleich. Sie hilft, uns selber zu sehen, wie wir sind: ohnmächtig oft und überfordert.

Dieser Angst aber sind wir nicht ausgeliefert. Wir können sie hineinnehmen in unser Reden mit Gott. Wir können sagen: "Gott, lass uns keine Maßnahmen ergreifen, die aus Angst geboren sind. Hilf uns, das Böse auszuhalten und unsere Angst zu tragen ohne daran zu zerbrechen. Und schenke uns Phantasie und Mut, unsere Gegner zu überraschen und zu entwaffnen. Deine Möglichkeiten sind ja immer größer als unsere Angst. Amen."

So können wir beten und beidem Raum geben, unserer berechtigten Angst und dem Vertrauen in Gottes Möglichkeiten. Dietrich Bonhoeffer hat das in unvergleichliche Worte gefasst: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein."


Annette Bassler (Jahrgang 1954) ist Pfarrerin und lebt in Mainz. Seit 1998 ist sie Beauftragte der Evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz (EKHN, EKiR, Pfälz. Landeskirche) beim SWR. Gemeinsam mit zwei Kollegen aus Baden-Württemberg verantwortet sie die Verkündigungssendungen im SWR. Annette Bassler ist verheiratet und Mutter von einer Tochter und zwei Söhnen.