Eine jüdische Zeitreise an die Adria
Der Speisesaal des Hotels "Adriatic" in Optaija an der kroatischen Adriaküste ist voller Besucher. Rund 300 Juden sind hergekommen, um für eine Woche Freunde aus allen Gegenden des ehemaligen Jugoslawien und solche, die im Ausland leben, zu treffen. Sieben Tage lang wollen sie durch Kulturveranstaltungen den Geist des untergegangenen Vielvölkerstaates feiern.
08.09.2011
Von Igal Avidan

"Bejahad", hebräisch für "gemeinsam", nennen sie diese kulturelle Zusammenkunft, die zum zwölften Mal stattfindet. Suada Kamhi kommt mit ihrem Mann aus Toronto, "weil ich mich zu Hause fühle und meine Kultur und Musik wieder finde. Das brauchen wir für unsere Seele", sagt die Frau, die 1992 aus der belagerten Stadt Sarajevo fliehen konnte. "Hier erinnere ich mich an die guten alten Zeiten".

"Auch ich habe Sehnsucht nach Jugoslawien, aber nicht nach dem kommunistischen Regime", betont der Münchner Filmregisseur und Produzent Marjan David Vajda. "Vielmehr sehne ich mich nach dem Modell eines Zusammenlebens verschiedener Ethnien und Religion, das lange erfolgreich war". In Optaija  erinnert sich Vajda an seine Sommerferien als Jugendlicher, deren Schauplätze er stolz seiner Tochter Lea zeigt.

Auf sieben Staaten verteilt

Der Arzt Vladimir Šalamon ist zwar Internist, sieht aber ein wenig aus wie Sigmund Freud und scheint die Seele der jugoslawischen Juden gut zu kennen. Seine Biografie, wie die der meisten Gemeindemitglieder, ist eine jugoslawische: Der 65-Jährige wurde in Sarajevo im heutigen Bosnien geboren, lebt seit 1986 in Zagreb, ist mit einer Nichtjüdin verheiratet, betrachtet sich als nichtreligiös, engagiert sich aber seit Jahren – mit aktiver Hilfe seiner Frau - ehrenamtlich um den Erhalt der kleinen jüdischen Gemeinden in Ex-Jugoslawien, die sich nach der Spaltung Jugoslawiens auf sieben Staaten wiederfinden und durch Auswanderung stark geschrumpft sind.

Um den jüdischen Dialog sogar noch während des Jugoslawienkrieges aufrecht zu erhalten, organisierte Šalamon (Foto links: Igal Avidan) mit anderen im Jahr 1994 heimlich ein Treffen von 200 Juden aus Zagreb und Belgrad auf neutralem Boden in Ungarn. 1999 wurde die Begegnung auf der kroatischen Insel Brac "Bejahad" getauft. Seit einigen Jahren findet die Zusammenkunft im Kurort Optaija statt. Am diesen schönen Strand und mit einigen kulturellen Highlights sowie alten und neuen Freunden lässt sich sogar das koschere Essen einigermaßen gut verdauen.

Auch nach zwölf Jahren muss "Bejahad" jedes Jahr um seine finanzielle Existenz bangen. Kroatische Unternehmen können ihre Förderung für Kultur nicht steuerlich geltend machen. Es ist schwer, die notwendigen 100.000 Euro von den zwei Dutzend Institutionen und Unternehmen zu schnorren. Dafür muss das Programm anspruchsvoll sein: Es sind in Jugoslawien geborenen Intelektuelle und Schriftsteller wie Predrag Matvejevic und Ivan Ivanji, der Jazzmusiker wie David Gazarov und der Filmregisseur Vajda. Angesichts der knappen Mittel in Kroatien sucht Organisator Šalamon nach Sponsoren in West-Europa, vor allem in Deutschland.

Eigenes Programm für die Jungen

Die jungen Erwachsenen von Bejahad - zwischen 24 und 40 Jahre alt - haben ihr eigenes Programm. Dieses bestreiten sie seit vier Jahren, um einmal die Organisation von Bejahad übernehmen zu können. Die acht besten kulturellen Gemeindeprojekte stellten sich im Wettbewerb miteinander vor. Auf der Terrasse konnte man an Kunstworkshops oder Gruppentänze zu israelischer Musik teilnehmen (letztere organisiert von der Tanzgruppe "Maayan" aus Novi Sad) oder sich neue israelische Filme anschauen. Der gut besuchten Gottesdienst am Freitagabend wurde von zwei Rabbinern durchgeführt, die sich einander sehr gut ergänzten: Elieser Papo aus Jerusalem, der eigentlich Dozent ist und aus Sarajevo stammt, sowie Yitzhak Asiel aus der jüdischen Gemeinde Belgrad.

Die Organisatorin des Jugendprogramms war die 31-jährige Lehrerin für Hebräisch- und Judentum an der jüdischen Grundschule in Zagreb, Maja Cimeša Samokovlija. "Die Religion war für sie unwichtig, denn im sozialistischen Jugoslawien gab es keine Rabbiner." Ihre Generation hingegen konnte mehrmals Israel besuchen und hält die Religion für wichtig. "Deswegen bevorzugen wir es, einen Juden zu heiraten." Trotz intensiven Austauschs bis tief in die Nacht (auf Serbokroatisch und Hebräisch, die neue Lingua franca für manche Ex-Jugoslawen mit Israel-Erfahrung) und reichlich Alkohol fanden die 50 jungen Juden in dieser Woche noch keine Heiratskandidaten. Das einzige jüdische Paar, das angeblich beim letzten Bejachad ein Kind zeugte, machte in diesem Sommer Familienurlaub und war nicht dabei.

Ironischerweise spaltete sich die kleine jüdische Gemeinde in Zagreb, kurz nachdem Bejachad entstanden war. Dennoch berichtete Šalamon stolz, dass zehn Mitglieder der anderen Gemeinde am diesjährigen Programm teilnahmen und ignorierten dabei die Boykottaufrufe ihrer Gemeindeführung, die ein eigenes Zusammentreffen "aller jugoslawischen Juden" organisiert.


Igal Avidan ist freier Journalist in Berlin.