Normalerweise ist Bechet ein ruhiges, verschlafenes Nest in der tiefsten Walachei, 60 Kilometer südlich der Kreisstadt Craiova. Die von den allsommerlichen Hitzewellen zwischen Juni und August mit 40 Grad braun gebrannten und von der mühevollen Arbeit auf ihren Feldern müden Bauern lassen sich ihren harten Alltag und ihre Routine auch nicht durch die vielen Transitlaster stören, die regelmäßig durch den Ort donnern, um vom örtlichen Hafen aus mit der Fähre ins Nachbarland Bulgarien überzusetzen.
Abends wirkt der Ort meist wie ausgestorben, von den zwei Bars abgesehen, in denen es würzige Cavapcici und süffiges Bier gibt und wo sich die Jugend trifft. Der kühle Gerstensaft wird als Halbe – "la halba" – gezapft. Die anderen im Ort verstreuten Kneipen bestehen aus Tante-Emma-Läden mit Biertischen und Stühlen aus Plastik unter einer vorgezogenen Jalousie im Freien. Sie werden ab dem frühen Morgen und bis tief in die Nacht auch von manchen hauptberuflichen Kostgängern kühler Biere und billiger Spirituosen belagert.
Gewusel und aufgeregte Geschäftigkeit
Samstags aber, am Markttag, bleibt keiner zu Hause, der noch laufen kann. Dann herrschen Gewusel und aufgeregte Geschäftigkeit. Dann ist schon am früh am Morgen in der Ortsmitte kaum mehr ein Parkplatz für Pferdekutschen und Autos zu kriegen, die friedlich nebeneinander parken. Dann klatschen noch mehr Pferdeäpfel als sonst auf die Straßen und dampfen dort fröhlich vor sich hin, bis das nächste Auto sie plattwalzt. Dann strömen kurz nach Morgengrauen schon Alt und Jung, Männer und Frauen über die staubigen und steinigen Sandstraßen rechts und links der zwei asphaltierten Hauptwege in die Ortsmitte.
Selbst Männer und Frauen, die ihre Höfe sonst außer zur Feldarbeit und Beerdigungen nie verlassen, treibt es dann zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Automobil oder der Pferdekutsche hinaus. Ausgemergelte alte Frauen in ihrem einzigen Ausgehkleid, Roma-Frauen in ihren glockenförmigen langen Röcken und bunten langen Kopftüchern, Bäuerinnen mit schürzenähnlichen Gewändern und spärlich bekleidete junge Frauen in schulterfreien Shirts und knallengen Jeans erkunden dann gemeinsam mit Bauern in sonnenvergilbten Hemden und Roma-Männern mit riesigen schwarzen Hüten die Angebote dieses Markttages.
Manche wollen wirklich etwas kaufen, manche kommen, um die würzigen Grillwürste zu essen, für andere ist der Markt das Ereignis schlechthin in ihrem sonst an Abwechslung armen Alltag, für alle aber schlicht Gelegenheit zum gepflegten Palaver. Der Markt ist ein bunter Treffpunkt. Man tauscht sich aus über Gott und die Welt, das neue Auto, den neuesten Dorfklatsch. Das Stimmengewirr, klappernde Pferdehufe und trötend-knatternde Autos selbst im Marktgelände bringen es mit sich, dass die meisten sich hier nicht normal unterhalten. Viele Gespräche klingen nach Geschrei und Streit, bis erlösendes Lachen das Gegenteil beweist. Das Schnalzen von Peitschen auf Kutschböcken und die Autohupen liefern sich einen erbitterten Konkurrenzkampf.
"Der Schlag soll mich treffen!"
Es geht überhaupt laut zu auf diesem Markt."Der Schlag soll mich treffen, wenn ich dir eine kranke Ziege verkaufe!" schreit da eine zierliche Baba von wohl 70 Jahren mit einer kräftigen Stimme, die ihr keiner zutraut, einen Bauern an, der die auf ihrer Kutsche an den Beinen festgebundene Ziege begutachtet, die wohl mehr wiegt als sie selbst. Solche bedingten Selbstverwünschungen gehören hier zum Geschäft. Ihr Mann nippt derweil an einer Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit, wohl kein Wasser.
Etwas ruhiger laufen die Geschäfte beim Gemüse (Foto links). Hier stehen die Preise fest. Gelassen, geordnet und geduldig lächelnd sitzen die Marktfrauen in mehreren Reihen. Sie bieten Berge von Auberginen und Paprika, Karotten, Kartoffeln, Kraut und Knoblauch, Zwiebeln und Tomaten aus eigener Produktion feil, garantiert ohne Chemie und Kunstdünger, wie sie versichern. Den könnten sie sich gar nicht leisten.
Besonders begehrt sind im Sommer die riesigen Wassermelonen aus der Region. Mit dem richtigen Vertriebssystem könnten diese mühelos den türkischen und spanischen Wassermelonen in deutschen Regalen Konkurrenz machen. Doch die an Subsistenzwirtschaft gewöhnten Bauern in Oltenien sind noch nicht so weit, sich über internationale Märkte Gedanken zu machen. Brüssel und die EU, ja selbst die Landeshauptstadt Bukarest, sind hier ganz weit weg. Immerhin verkaufen viele auch in den rumänischen Großstädten auf Freiluftmärkten ihre Produkte. Dort geht es allerdings nicht mehr so lustig zu wie hier in diesem Kaff.
Duft von Kohlen und Cevapcici
Ein Potpourri an Düften schwebt über dem Markt und hüllt die Besucher ein. Von den Grillbuden weht der herbe, trockene und rauchige Dampf von Grillkohlen und Cevapcici über den riesigen Platz und vermischt sich mit dem frischen Geruch von Gemüse; die Käsestände liefern das milchig-scharfe Aroma von Schafs- und Ziegenkäse dazu. Dazwischen kläffen streunende Hunde, wiehern Pferde, meckern Ziegen, gackert und gluckst Federvieh unterschiedlichster Art und warten darauf, den Besitzer zu wechseln.
Die Ware wird angepriesen und begutachtet, es wird gefeilscht und verhandelt. Das alles ist bei über 30 Grad im Schatten äußerst schweißtreibend. Deutsche Gesundheitsämter hätten ihre wahre Freude an der Art und Weise, wie die Waren bei dieser Hitze präsentiert werden. Aber es geht auch so. Frisch aus dem Siebentonner gibt es Holztüren und Fenster, Betten, Tische, Stühle und Sofas unterschiedlichster Art und Größe. Dabei ist Service Trumpf: Fehlt die gewünschte Größe, wird an Ort und Stelle die Bestellung aufgenommen. Lieferung demnächst.
Die zahlreichen bulgarischen Autokennzeichen bei Händlern und Käufern täuschen indes. Viele Rumänen in der Grenzregion entlang der Donau schlagen ihren Politikern und Ämtern ein Schnippchen: sie lassen ihre Autos kurzerhand in Bulgarien zu. Das ist billiger als in Rumänien, wo es hohe Gebühren für die Anmeldung gebrauchter Fahrzeuge gibt, die oft ein Mehrfaches des Kaufpreises der importierten Altfahrzeuge ausmachen. In Bulgarien gibt es schon Agenturen zur Vermittlung von "Halterpaten".
Die Ewigkeit mit Händen zu greifen
Hier in Oltenien, der westlichen Walachei, ist die sprichwörtliche "rumänische Ewigkeit" zwischen riesigen gelben Mais- und Weizenfeldern in der sommerlichen Gluthitze mit Händen zu greifen. Wohl auch deshalb gibt es neben praktischen Dingen wie Haushaltsgeräten, Autoteilen, Schuhen und Kleidung in Ermangelung von Geschäften vor Ort am Wochenmarkt auch gleich noch Produkte, die in die Ewigkeit weisen: eine Frau mittleren Alters verkauft mit einladendem Lächeln Grabsteine. Wer will, kann also auch Vorsorge treffen, welcher Marmorstein einst das eigene Grab schmücken wird.
Schon vor Mittag lichtet sich der Menschenauflauf. Händler packen ein und brechen auf. Einmal mehr sind sich in Bechet an der Donau orientalischer Basar und rumänische Pragmatik zwischen Paprikahändlern und Grabsteingrossisten begegnet.
Jürgen Henkel ist freier Autor.