Abschied von der Erbsünde: Glaube wird entrümpelt
Als Adam in den Apfel biss, konnte er nicht ahnen, was die Kirchenväter später daraus machten: eine Erbsünde, die allen Menschen in den Knochen hängt. Ein katholischer Theologe aus Münster hat gründlich damit aufgeräumt - und so einen jahrhundertealten Streit gelöst.
06.09.2011
Von Bernward Loheide

Manche Wissenschaftler bringen jedes Jahr ein neues Buch auf den Markt. Nicht so Thomas Pröpper. Der Münsteraner Theologieprofessor veröffentlicht nur alle zehn Jahre ein Werk. Dennoch gehört der 69-Jährige zu den einflussreichsten und renommiertesten katholischen Gottesdenkern. Jetzt ist seine "Theologische Anthropologie" erschienen, eine voluminöse Summe seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Frage: Was ist der Mensch? Vieles spricht dafür, dass das Buch in die Theologiegeschichte eingehen wird.

Wegen einer schweren Erkrankung sah es lange so aus, als wenn Pröpper dieses Werk nicht mehr realisieren kann. Seinen Studenten hatte er bereits 1995 versprochen, seine Anthropologie-Vorlesungen für eine Publikation auszuarbeiten. Denn viele Hörer fühlten sich von dem anspruchsvollen Lehrstoff überfordert und wollten sich nicht auf eigene oder fremde Mitschriften verlassen.

Kant, Fichte und die Freiheit

Wer es einfach haben wollte, der ging nicht zu Pröpper. Dasselbe gilt auch für das Buch. Es ist Theologie auf höchstem Niveau. Mit Recht beklagt Pröpper, dass "der philosophische Zustand der neueren katholischen Theologie doch eher dürftig" ist. Er selbst entfaltet sein Denken in einem argumentativen Diskurs, der die Geistesgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart berücksichtigt und immer wieder deutlich macht: Es führt kein Weg zurück hinter die Philosophie von Kant und Fichte. Deren Erkennnis: Der Mensch ist frei.

Freiheit wird zwar vielfach eingeschränkt, durch Fesseln, Armut, Unterdrückung, genetische, neuronale oder soziale Vorgaben. Aber die formal unbedingte Freiheit des Subjekts ist unhintergehbar: Es gibt keine Erkenntnis oder Welterfassung, die vom erkennenden Ich abstrahieren kann. Absolut und ursprünglich ist meine Freiheit darin, dass ich mich öffnen und zu allem frei verhalten kann. Ich kann jedes Gegebene negieren und gedanklich überschreiten.

Dieses transzendentalphilosophische Freiheitsdenken entspricht, wie Pröpper darlegt, dem jüdisch-christlichen Menschenbild viel mehr als die platonische oder aristotelische Metaphysik, mit der die Kirchenväter bis zu Thomas von Aquin den Glauben ins Denken übersetzt haben. Viele Theologen, darunter auch Papst Benedikt XVI., misstrauen bis heute der Freiheitsidee der Aufklärung. Dabei ist Freiheit seit dem Auszug der Israeliten aus dem Sklavenhaus Ägypten das zentrale Heilsgut des Glaubens. "Zur Freiheit hat uns Christus befreit", schreibt der Apostel Paulus im Galaterbrief.

Gnade als Sehnsucht des Menschen

Die katholische Theologie hat in der Freiheit des Menschen aber meist eine Konkurrenz zur Freiheit Gottes gesehen. Daher ist es ihr im Gegensatz zum Protestantismus nie gelungen, die Ansprechbarkeit des Menschen für die Gnade Gottes widerspruchsfrei zu denken - nämlich so, dass die Gnade ungeschuldet bleibt und doch als Erfüllung der Sehnsucht des Menschen gelten kann. Bis heute galt der Gnadenstreit der Barockscholastik über die Wirkung der Gnade auf den freien Willen lehramtlich als ungelöst.

Thomas Pröpper hat dieses Problem gelöst. Es ist wie bei der Liebe zwischen Menschen, erklärt er: Nur als frei erwiderte kann sie die Sehnsucht des Anderen erfüllen. Gott habe sich selbst dazu bestimmt, sich von seinen freien Geschöpfen bestimmen zu lassen. Die Geschichte Gottes mit den Menschen sei daher eine wirklich offene. Der Mensch als Gottes freies Gegenüber könne Nein sagen zu dessen heilsgeschichtlichen Plan und diesen damit zunichtemachen.

Abschied von der Tradition

So radikal trauen sich das andere Theologen kaum zu sagen. Und kaum ein anderer nimmt so überzeugend wie Pröpper Abschied von Teilen der kirchlichen Tradition. Zum Beispiel von der Erbsündenlehre des heiligen Augustinus, der die Schuld Adams allen Menschen als verdammungswürdige Sünde anrechnete. Verabschiedet wird auch die Ansicht, die Moral gründe in den Geboten Gottes, die der Mensch zu befolgen habe. Vielmehr wirbt Pröpper für eine autonome Ethik, die den Verbindlichkeitsgrund des Sollens in der Unbedingtheit der Freiheit sieht: Die Freiheit ist sich selbst Gesetz, denn nur in der Anerkennung anderer Freiheit wird sie erfüllt.

All dies begründet Pröpper sehr ausführlich - auf 1.534 Seiten. Manche Sätze und Kapitel könnten kürzer sein, manche Wiederholungen wegfallen, auch die alte Rechtschreibung befremdet. Aber wer sich wissenschaftlich mit "Gott und Mensch" beschäftigen will, kommt um dieses Werk kaum herum. Es ist auch schon in der nächsten Professorengeneration angekommen: Vier der 17 Kapitel wurden von Pröppers Schülern Magnus Striet, Georg Essen, Michael Bongardt und Michael Greiner geschrieben. Als Studenten haben sie die Vorlesungen vor fast 20 Jahren zumeist noch selbst gehört. Als Dozenten haben sie nun geholfen, das Werk zu vollenden.

Buchhinweis - Thomas Pröpper: Theologische Anthropologie, Freiburg i.Br. 2011 (Verlag Herder). Zwei Bände. Band I: 672 Seiten, 40 Euro; Band II: 896 Seiten, 54 Euro.

Das Programm der Festakademie "Theologische Anthropologie - Ein Lebenswerk" zum 70. Geburtstag von Thomas Pröpper am 7. Oktober 2011 im Münsteraner Franz-Hitze-Haus finden Sie hier.

dpa