"Nachtschicht: Blutige Stadt", 5. September, 20.15 Uhr im Zweiten
Der Reiz der "Nachtschicht"-Reihe besteht in der Dichte der Geschichten: Das KDD-Team hat eine Nacht lang Zeit, seine Fälle zu lösen. Entsprechend groß sind die Strapazen der Dreharbeiten: Die Augenringe der Darsteller sind echt, denn gedreht wurde fünf Wochen lang nur nachts.
Kühle Kriminalpsychologin und ruppiger Ermittler
Nach dem Tod ihres Kollegen Teddy Schrader ermittelt die Besatzung des Kriminaldauerdienstes in dieser Wiederholung als Trio. Während Minh-Khai Phan-Thi immer noch wie eine Praktikantin wirkt, nutzen Barbara Auer und Armin Rohde die größere Spielfläche. Beiden gelingt es stärker als in früheren Filmen, die vordergründige Eindimensionalität ihrer Figuren – hier die kühle Kriminalpsychologin, dort der ruppige Ermittler, der selbst Dreck am Stecken hat – zu durchbrechen. Erichsen, ohnehin die heimliche Hauptfigur der Reihe, darf angesichts einer von skrupellosen Dealern vertickten Modedroge, die auch schon Tote gefordert hat, diesmal sogar Moral zeigen; und Brenner kaschiert mit ihrem freundlichen Lächeln ein kühles Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sie ihren Widersachern gern das Gefühl gibt, sie seien die Katze.
Stärker noch als in früheren Filmen der Reihe leistet sich Lars Becker (Buch und Regie) den Luxus, diverse Nebenstränge, die Potenzial für eine eigene Handlung hätten, nur anzureißen, um sie später wieder aufzugreifen. Nichts ist dabei Zufall, alles hat seine Bedeutung, und sei es nur, um beim dramatischen Finale für zusätzliche Spannung zu sorgen; deshalb bekommt die Geschichte auch noch einen weiteren Dreh, als es den Mörder längst erwischt hat.
Das Motiv ist zunächst unklar
Die Spannung resultiert dabei weniger aus der Frage, wer die Stadt in Atem hält, denn in dem Killer, der in Hamburgs Unterwelt für freie Stellen sorgt, erkennt man relativ rasch den Notarzt Tomalla (Fritz Karl). Offen ist allerdings sein Motiv. Nicht etwa Amok laufend, sondern kühl und überlegt ermordet er scheinbar unbescholtene Bürger: erst den türkischen Besitzer eines Reisebüros, dann einen Polizisten. Vor allem Psychologin Brenner fühlt sich herausgefordert, schließlich ruft der Mörder bei ihr an, während das erste Opfer zu seinen Füßen verblutet.
Enorm reizvoll ist nicht zuletzt die Riege der Gastdarsteller. Gerade Uwe Kockisch und Maja Maranow spielen als Ehepaar mit Lust gegen die Klischees ihrer Reihenrollen an (er als Commissario Brunetti in den Donna-Leon-Verfilmungen, sie als Ermittlerin im "Starken Team"). Eine Entdeckung für das deutsche Fernsehen ist ohne Frage der Däne Thure Lindhardt, der mit Hingabe einen vortrefflichen Schurken gibt; nicht zu vergessen Sibel Kekilli als Angestellte im Reisebüro, die längst nicht so unschuldig ist, wie sie sich gibt. Selbst die Rolle ihres überwiegend toten Chefs hat Becker mit Stipe Erceg geradezu verschwenderisch besetzt. Dramaturgisch überflüssig sind allein die Rückblenden, die der Handlung inhaltlich nicht wesentlich weiterhelfen und offenkundig bloß den Zweck haben, längst erschossenen Mitwirkenden weitere Auftritte zu verschaffen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).