Altenpflege: Neue Chance für arbeitslose Jugendliche
Ein Jahr lang arbeitete Abele Russo für lau. Tischdecken im Altenheim, Menschen beim Toilettengang begleiten, Sterbende trösten - All das tat er gern. Russo war bereits mit Anfang 20 beruflich am Ende. Bei "CariVia", einem Modellprojekt des Deutschen Caritasverbandes, fand er eine neue Perspektive.
29.08.2011
Von Sebastian Stoll

Es war der Rücken. Erst schmerzte er nur, wenn Abele Russo sich bückte, später den ganzen Tag. Mit der Zeit wurde sein Job als Schlosser zur Qual, aber drüber reden konnte er nicht. "Das war so ein Betrieb, in dem alles hintenrum lief. Da sprachen die Kollegen nicht miteinander, sondern gleich mit dem Vorgesetzten", sagt er. Irgendwann kam der Chef zu ihm, erzählte von gestiegenen Betriebskosten. Mit Anfang 20 war Abele Russo am Ende.

Die Rückenbeschwerden wurden nicht besser, es folgten Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Depressionen. Heute ist Abele Russo 26 Jahre alt, und sein zweites Leben hat gerade erst angefangen. Vor wenigen Wochen hat er in einem Altenheim des katholischen Hilfswerks Caritas in der Nähe von Ulm eine Ausbildung zum Altenpfleger begonnen.

Der erste Schritt: Tischdecken

Abele Russo vor dem Altenzentrum, in dem er eine neue berufliche Perspektive fand (Foto: epd-bild/Sebastian Stoll)

Möglich wurde das durch ein Programm, das sich "CariVia" nennt, und mit dem der Deutsche Caritasverband sogenannte "benachteiligte junge Menschen" in Ausbildung bringen will - junge Menschen also, die vom Leben abgehängt wurden. 134 junge Arbeitslose in sechs Städten haben das Modellprojekt seit dem Start im September 2009 durchlaufen, 79 von ihnen fanden nach Caritas-Angaben entweder eine weiterführende Qualifikation oder fanden einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz in der Pflege.

Begonnen hat es für Abele Russo mit dem Tischdecken. Was banal klingt, war für ihn das erste Ticket in die neue Welt: "Man muss immer darauf achten, dass die Tassen nah bei den Tellern stehen", sagt er. "Viele der alten Menschen haben Rheuma und kommen mit ihren Händen nicht mehr so weit."

Alle drei Monate gab es zwei Wochen Blockunterricht, es war eine Art Berufsschule light: Abele Russo und seine Mitschüler lernten, wie man auf Diabetes reagiert und dass man Menschen, die im Sterben liegen, besonders einfühlsam und taktvoll ansprechen sollte. Nach einem halben Jahr musste er zum ersten Mal mit einem Pflegebedürftigen einen Toilettengang mitmachen. "Nein, ich durfte. Ich habe mich für diesen Beruf interessiert, also durfte ich das", sagt er.

"Wissen, worauf man hinarbeitet"

Es waren kleine Schritte, in denen Abele Russo lernte. Geld verdiente er in dem Jahr, das die Qualifizierung dauerte, keines. Er lebte weiterhin von Hartz IV. Finanziert wurde seine Stelle und die seiner Mitstreiter nach Caritas-Angaben unter anderem aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, aber auch aus solchen der Caritas.

Dass "CariVia" nicht alleine einen wohltätigen Hintergrund hat, räumt Caritas-Präsident Peter Neher freimütig ein. "Um ihrer selbst willen, aber auch angesichts des drohenden Fachkräftemangels in der Pflege können wir es uns nicht länger leisten, junge Menschen mit schlechten oder fehlenden Schulabschlüssen nicht zu qualifizieren", sagt er. 300.000 Pflegekräfte werden in Deutschland in den kommenden zehn Jahren fehlen, schätzt die Caritas.

Abele Russo nimmt die großen Zusammenhänge zur Kenntnis, aber sie interessieren ihn nur bedingt. Krank war er, ohne Job und ohne Hoffnung. Diese Zeit ist jetzt vorbei - und das soll so bleiben. "Lieber ein Jahr lang nichts verdienen, aber dafür wissen, worauf man hinarbeitet, als ein Jahr Bewerbungen schreiben und nur Absagen bekommen", sagt er.

epd