Frischer Wind in Bukarests alten Synagogen
Die jüdische Gemeinde in Rumänien war vor der Shoah die drittgrößte in Europa, jetzt kämpft sie ums Überleben - mit neuen Ideen. Einige Gemeinden machen gute Erfahrung, indem sie sich für junge Menschen öffnen und jüdische Bildungseinrichtungen fördern. Ein Gespräch mit den Präsidenten der Jüdischen Föderation und der Bukarester Gemeinde.
26.08.2011
Die Fragen stellte Igal Avidan

Die jüdische Gemeinde in Rumänien war vor der Shoah die drittgrößte in Europa, jetzt kämpft sie ums Überleben – mit frischen Ideen. Ein Drittel der 800.000 Juden wurde von Deutschen und Rumänen ermordet, Hunderttausende ließ die kommunistische Führung nach Israel ausreisen – gegen politische oder finanzielle Hilfe. In der Zeit der wirtschaftlichen Turbulenzen nach dem Sturz des Kommunismus Ende 1989 folgte ihnen jeder zweite Jude. Heute zählen die 38 jüdischen Gemeinden nur noch 8.000 Mitglieder, obwohl sie auch viele Menschen aufnehmen, die streng orthodoxe Rabbiner nicht als Juden akzeptieren würden. Einige Gemeinden machen gute Erfahrung, indem sie sich für junge Menschen öffnen und jüdische Bildungseinrichtungen fördern.

Die kleine jüdische Gemeinde, eine der ältesten in Europa, hat eine Zukunft, glauben der 78-jährige Präsident der Jüdischen Föderation, Aurel Vainer, und sein 31-jährige Mitstreiter und Präsident der Bukarester Gemeinde, Erwin Shimshensohn.

Herr Vainer, wie sind Sie in der jüdischen Gemeinde aktiv geworden?

Aurel Vainer: Ich bin in einem Shtetl (einer osteuropäischen Kleinstadt mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil) aufgewachsen und habe als Junge in einem Cheder, einer Religionsschule für Jungen studiert. Dann war ich zionistisch aktiv und arbeitete in der Jugendbewegung am Hafen, um Juden auf die Schiffe nach Palästina zu bringen. Mich wollte man aber nicht mitnehmen und die Kommunisten lösten 1949 alle zionistischen Gruppen auf. Erst als ich 2004 in Rente ging, kam ich in die Gemeinde und wurde zu deren Präsidenten gewählt und ab 2008 auch ins Abgeordnetenhaus als Vertreter einer anerkannten nationalen Minderheit gewählt, wie die Juden hier gelten.

Der Präsident der Jüdischen Föderation, Aurel Vainer (l.), und der Präsident der Bukarester Gemeinde, Erwin Shimshensohn.

Und wie sind Sie, Herr Shimshensohn, zum wohl jüngsten Präsidenten einer jüdischen Gemeinde in Europa geworden?

Erwin Shimshensohn: Ich bin 31 und stamme aus einer Kleinstadt im Norden, wo ich in einer traditionellen Familie aufwuchs. Mein Großvater war Vorsitzender einer jüdischen Gemeinde. Ich bekam zu Hause eine jüdische Erziehung. Wir feierten Pessach, Jom Kippur und Chanukka und ich mit 13 feierte meine Bar Mitzwa (eine Art jüdischer Konfirmation, I.A.). Als Schüler gewann ich den Bibelwettbewerb und vertrat Rumänien im internationalen Bibel-Wettbewerb in Israel. 2006 kandidierte ich zum Posten des stellvertretenden Präsidenten der jüdischen Föderation – als erster junger Kandidat. Und im April 2009 wurde ich knapp gewählt – vor allem mit den Stimmen älterer Mitglieder.

Ihr legendärer Vorgänger im Amt, der 1994 verstorbene Oberrabbiner Moses Rosen, organisierte in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu die Auswanderung der meisten Juden, konnte dafür aber ein religiöses jüdisches Leben bewahren, der in kommunistischen Ost-Europa einmalig war. Was hat sich seitdem hier geändert?

Vainer: Früher galt die Föderation als eng befreundet mit dem kommunistischen Regime. Möglicherweise waren auch Agenten des Geheimdienstes Securitate hier aktiv und daher hielten viele Juden Distanz zur Gemeinde und beschränkten sich darauf, ihre Sachen in der Synagoge zu erledigen. Mein Vorgänger Rabbiner Rosen rettete zwar viele Synagogen vor dem Verfall – eine große Leistung. Er sah aber die Zukunft der rumänischen Juden in Israel. In den letzten Jahren näherten sich junge Menschen der Gemeinde, die bis dahin uns fern geblieben waren. Durch Seminare, die wir gemeinsam mit der jüdisch-amerikanischen Organisation JOINT durchführten, lernten sie die jüdischen Probleme kennen. Die Jugend kommt, weil ich das neue Konzept der JOINT, jüdische Gemeindezentren oder JCC zu errichten, mitgetragen habe. Dort werden jüdische Kultur und Bildung vermittelt, in die man alle Altersgruppen einbezieht.

Shimshensohn: Das JCC, die gemeinsam von der Föderation und der (amerikanisch-jüdischen Wohlfahrtsorganisation) JOINT gemeinsam finanziert wird, ist eine wunderbare Institution. Inzwischen gibt es ein Netzwerk von JCCs – in Bukarest, in Oradea, Timishoara, Jasi und vielleicht künftig auch in Cluj. Die in Bukarest ist die größte und bietet auch soziale und Freizeit-Aktivitäten. Das ist die einzige jüdische Institution, die die israelischen Studenten in Bukarest anzieht, die bisher der Gemeinde ferngeblieben waren. Im Cafe im JCC organisieren sie jeden Sonntag mit Hilfe des israelischen Chefs einen israelischen Brunch. Auch der JCC-Direktor ist Israeli.

Wie geht die Gemeinde mit den vielen gemischten jüdischen Familien um?

Vainer: Die 8.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Rumänien sind halachische Juden (orthodox anerkannte, wie Kinder einer jüdischen Mutter, I.A.) und Kinder eines jüdischen Vaters oder eines Großvaters oder einer Großmutter väterlicherseits, die den Weg zu uns fanden. All diese Leute haben das Recht, nach Israel auszuwandern. Wir nehmen gemischte Familien als Gemeindemitglieder auf. Nur der Gemeindepräsident, sein Vize und der Generalsekretar müssen halachisch jüdisch sein.

Kann also ein Gemeindevorsitzender halachisch nicht jüdisch sein?

Shimshenson: Nein. Nach unserer Verfassung können Menschen, die keine jüdische Mutter haben, zwar stimmberechtigte Mitglieder sein und sogar Vorstandsmitglieder der Gemeinde sein. Wer gut genug für Israel ist, ist auch gut genug für unsere Gemeinde. Aber sie dürfen nicht als Gemeindepräsident, sein Stellvertreter oder Generalsekretär der Gemeinde. Zur Zeit sind alle sechs Vorstandsmitglieder in der Bukarester Gemeinde jüdisch, aber sie alle sind sehr alt. Die allermeisten Senioren über 55 Jahre sind halachisch jüdisch. Je jünger, desto mehr nicht halachische Juden, weil ihre Eltern in der Zeit des Kommunismus heirateten, in der die meisten Mischehen stattfanden.

Hat diese Gemeinde eine Zukunft?

Vainer: Ja, weil In den letzten Jahren junge Menschen in der Gemeinde aktiv sind. Erwin Shimshensohn ist 31, die Präsidentin der Gemeinde in Timishoara ist 35 ebenso wie der Koordinator der Rabbinerkanzlei und mein Büroleiter. Wir haben also eine Zukunft, weil die Jugend bei uns erschienen ist.

Shimshenson: Unsere Herausforderung ist, dass die jungen Mitglieder die Bewahrung jüdischer Kontinuität als vorrangig betrachten. Ich bin nicht sicher, dass dies jetzt der Fall ist. Sonst wird diese Gemeinde keine Zukunft haben. Es reicht nicht, dass die Mitglieder selbst jüdisch sein wollen, wenn sie das nicht auch für ihre Kinder wollen. Es ist viel wichtiger, wie sie ihre Kinder erziehen als wie sie sich selbst definieren.


Aurel Vainer ist Präsident der Jüdischen Föderation in Rumänien, Erwin Shimshensohn ist Präsident der Bukarester jüdischen Gemeinde.