"Le Canard Enchaîné": Satire und guter Journalismus
Sie hat den Ruf, die erste zu sein, die Skandale öffentlich macht: die französische Satirezeitung "Le Canard Enchaîné". Das Magazin veröffentlicht die Geschichten, von denen Politiker, Promis und Polizei hoffen, dass sie unentdeckt bleiben. Chefredakteur Claude Angeli. "Die Rolle des Journalisten ist, seinem Leser das zu verraten, von dem man nicht möchte, dass er es weiß."
25.08.2011
Von Marc Patzwald

Jeder französische Präsident hatte schon einmal mit ihr zu tun. Sie ist acht Seiten stark und deckt Skandale sowie merkwürdige Machenschaften auf. Oft ist die Ente in Ketten, wie die satirische Wochenzeitung "Le Canard Enchaîné" frei übersetzt heißt, die erste, die Affären öffentlich macht. Es seien aber auch viele andere gute Journalisten in französischen Medien tätig, sagt ihr Chefredakteur Claude Angeli bescheiden. Dass die Satirezeitung als einzige investigativ arbeite, sei "ein bisschen Mythologie". "Der Ruf des 'Canards' ist besser als seine Fähigkeiten."

Die fast hundertjährige Geschichte des "Canards" beginnt am 10. September 1915 zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Maurice Maréchal gründete die Satirezeitung als Gegenpol zu den vom Militär kontrollierten und ausgewählten Nachrichten. Damals war sie noch ein reines Satireblatt. Der "Canard" werde entschieden nur "verifizierte Falschnachrichten" verbreiten, kündigte er auf der ersten Titelseite an.

Das Wort "Canard" bedeutet im Französischen umgangssprachlich sowohl "Zeitung" als auch "Zeitungsente", also Falschmeldung. Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Auflage bis 1936 auf rund 200.000 Exemplare an. Während der deutschen Besatzungszeit erschien das Satireblatt nicht, um dann nach Kriegsende mit rund 500.000 Exemplaren neu zu starten.In dieser Zeit entwickelte sich der "Canard" zu einer investigativen Informationszeitung. Die Nachrichten, die in den großen Medien nicht auftauchten, erschienen im "Canard". "Die Rolle des Journalisten ist, seinem Leser das zu verraten, von dem man nicht möchte, dass er es weiß", sagt Angeli. Also Informationen zu liefern, die Politiker, Verwaltungen, Polizei oder Gewerkschaften verbergen wollten.

"Von Sarkozy gibt es eine Affäre, die ich sehr gerne mag"

1973 ist das Jahr, das dem Chefredakteur zufolge für eine "bemerkenswerte Werbung" sorgte. "Das war die Klempneraffäre wie man beim 'Canard' sagt", erklärt Angeli. Denn im Dezember versuchten Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes als Klempner getarnt, Mikrofone in den Redaktionsräumen anzubringen. Sie wurden durch Zufall erwischt. Der damalige Innenminister trat zurück. Der "Canard" kommt vollkommen ohne Werbung aus - auch ohne Internetauftritt. Nur die Titelseiten werden online veröffentlicht. Die verkaufte Auflage lag in den vergangenen Jahren immer über 400.000 Exemplaren, 2008 sogar bei rund 540.000.

Dem "Canard" gehe es finanziell gut, "weil wir keine Auslandskorrespondenten haben und auch nicht alle Themen behandeln", erklärt Angeli. Stattdessen müsse die Redaktion im Vergleich zu den anderen Medien ein zusätzliches Angebot liefern. "Wenn der 'Canard' nichts bringt, was einen verblüfft, überrascht oder einem etwas beibringt, erfüllen wir unsere Rolle nicht." Für den Historiker Laurent Martin, der seine Doktorarbeit über den "Canard" geschrieben hat, zeichnet sich das Satireblatt durch "eine neuartige Zusammensetzung von Meinungs- und Nachrichtenjournalismus aus". "Paradoxe Formulierungen wie informative Satire oder satirische Information haben die Leute beim 'Canard' besonders gern", schreibt er.

"Von Sarkozy gibt es eine Affäre, die ich sehr gerne mag", erklärt Angeli. So veröffentlichte der "Canard" vor der Präsidentschaftswahl 2007 Dokumente über eine Maisonettewohnung in einem luxuriösen Viertel der Stadt Neuilly, für die Sarkozy nur wenig bezahlt habe. Nach dem Kauf habe der Bauträger kostenlose Bauarbeiten ermöglicht. Dieser Bauträger hatte Angeli zufolge wiederum viele Aufträge der Stadt Neuilly erhalten, als Sarkozy dort Bürgermeister war. "Wenn es eine solche Affäre in Deutschland, Großbritannien, den skandinavischen Ländern, den Niederlanden oder anderswo gegeben hätte, hätte er niemals Präsidentschaftskandidat werden können", betont der 80-Jährige, der seit 1971 für den "Canard" arbeitet. Journalistenpreise nimmt die Redaktion eigentlich nicht an. "Journalisten streben nicht nach Preisen", sagt Angeli. Beim Henri-Nannen-Preis 2011 hätten sie eine Ausnahme gemacht. Allerdings soll das Preisgeld gespendet werden.
 

epd