TV-Tipp des Tages: "Die Route" (ARD)
Schwebende Bergsteiger, atemberaubende Bilder: Eine dramatische Geschichte aus dem Kletterer-Milieu, die auch Flachlandbewohner zu fesseln vermag.
25.08.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Die Route", 31. August, 20.15 Uhr im Ersten

Wenn die Hauptfiguren dieser Geschichte den Naturgesetzen trotzen und sich scheinbar schwerelos zwischen Himmel und Erde bewegen, ist die Kamera immer hautnah an ihnen dran. Auf diese Weise sind überaus eindrucksvolle Aufnahmen entstanden, die nur möglich waren, weil Maximilian Brückner und Stephan Luca selbst begeisterte Bergsteiger sind. Für die spektakulärste Szene der gemeinsamen Klettertour wurde trotzdem ein Stuntman engagiert: Obwohl Tom (Luca) eine Pause machen will, drängt Mark ihn, noch bis zum nächsten Vorsprung weiterzuklettern. Den Freund verlassen die Kräfte, er stürzt ins Seil und kracht gegen den Fels. Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma. Die Folge: Ein Bein wird womöglich gelähmt bleiben.

Der Kletterunfall ist allerdings bloß Prolog dieses optisch und emotional fesselnden Films (Regie: Florian Froschmayer, Kamera: Roman Nowocien). Der Absturz hat Folgen für beide Freunde: Tom arbeitet in der Werbebranche und kann vorerst seinen Beruf nicht mehr ausüben, was die Finanzierung des halbfertigen Hauses gefährdet, das er gemeinsam mit Freundin Franziska (Jana Klinge) gebaut hat. Die wiederum gibt Mark die Schuld an Toms Verletzung, was gar nicht nötig wäre: Mark ist seit dem Unfall völlig durch den Wind.

Das Motto lautet: "Steig oder stirb"

Geschickt verteilt das Drehbuch von Arthur Alexander die Dramatik auf zwei Ebenen: hier die sehr lebensnah erzählte Beziehung zwischen Tom und seiner Freundin, die schließlich im Streit endet; dort die Kämpfe, die Mark mit seinen eigenen Dämonen führt. Er ist ohnehin die aktivere Figur, und das liegt nicht nur an Toms unfreiwilliger Passivität: Im Gegensatz zum Freund, dem Beziehung und Karriere im Zweifelsfall wichtiger sind, ist Mark geradezu besessen vom Bergsteigen, es ist fast eine Religion für ihn. Dass Tom dem gemeinsamen Plan, den Nanga Parbat zu bezwingen, nicht weiter nachtrauert, empfindet er deshalb als Verrat. Zu seiner bevorzugten Lektüre gehört "Steig oder stirb"; in dem Buch beschreibt Extremkletterer Mark Twight seine Bergsucht.

Gerade die Vielschichtigkeit der Geschichte macht aus dem vermeintlichen Bergfilm weit mehr als bloß das übliche alpine Drama. In der auf bizarre Weise wunderschönen Welt der Berge (gedreht wurde in den Dolomiten) spielen sich zwar die Schlüsselszenen ab, doch die eigentliche Handlung trägt sich in den Köpfen zu; in denen der Figuren, aber auch in denen der Zuschauer. Das funktioniert, weil die drei Hauptdarsteller außerordentlich gut spielen.

Bei Brückner und Luca mag das nicht weiter überraschen, aber gerade Jana Klinge verkörpert die wichtige Rolle Franziskas, die sich eigentlich nicht zwischen die Freunde drängen will, aber schließlich doch nicht anders kann, mit eindrucksvoller Natürlichkeit. Eine dramaturgisch nicht minder wichtige Rolle spielt mit gewohnter Qualität Michael Fitz als väterlicher Freund von Mark, der als Mitglied der Bergwacht seinem Schützling hilft, das Trauma zu überwinden. Trotz der sehenswerten Darsteller aber sind die schwindelerregenden Bergbilder naturgemäß der eigentliche Blickfang des Films.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).