Schmerzen: Millionen Deutsche leiden unter Migräne
"Migräne wird oft durch unser gesteigertes Lebenstempo hervorgerufen", meint der Neurologe Roland Sparing von der Universitätsklinik Köln. Bis zu acht Millionen Deutsche leiden nach Schätzungen von Experten unter Migräne. Wer unter Migräne leidet, ist meist familiär vorbelastet.
25.08.2011
Von Barbara Driessen

Migräne zu haben sei ähnlich schmerzhaft wie die Geburt eines Kindes, sagt Katrin Weber (37): "Nur mit dem Unterschied, dass man sich zwischen den einzelnen Geburtswehen kurz erholen kann. Bei Migräne ist es eher so, als steche jemand ununterbrochen mit einem Messer in den Kopf hinein." Neben dem halbseitigen pochenden Kopfschmerz leidet die Kölner Anwältin dann auch unter heftigem Erbrechen und ist extrem geräusch-, geruchs- und lichtempfindlich. "Wenn dann etwa ein Nachbar laute Musik spielt oder in den Wänden bohrt, bekomme ich richtig Mordgelüste", sagt die zweifache Mutter.

Bis zu acht Millionen Deutsche leiden nach Schätzungen von Experten unter Migräne. Viele haben das Gefühl, dass die derzeitige Wetterlage mit dem Wechsel zwischen Schwüle und Gewitter in vielen Teilen Deutschlands die Attacken begünstigen.

Lähmungen, Sprachausfälle und Sehstörungen

Etwa 15 Prozent aller Frauen und acht Prozent aller Männer sind von Migräne betroffen. Ähnlich wie Diabetes hat sich Migräne zu einer Volkskrankheit entwickelt, die eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung hat: Jährlich werden in Deutschland etwa 500 Millionen Euro von Patienten und Krankenversicherungen für die medikamentöse und ärztliche Behandlung von Migräne ausgegeben. Die durch den Arbeitsausfall zusätzlich entstehenden Kosten werden auf das zehnfache dieser Summe geschätzt.

"Das typische Einstiegsalter für Migräne ist nach der Pubertät", sagt der Neurologe Ulrich Wüllner von der Uniklinik Bonn. Migräneanfälle können völlig unterschiedliche Ausprägungen haben und von wenigen Stunden bis zu drei Tagen andauern.

Bei etwa 15 Prozent der Betroffenen kommt es meist vor dem Kopfschmerz zu neurologischen Reiz- oder Ausfallerscheinungen. Dazu gehören Lähmungen, Sprachausfälle und Sehstörungen mit einem eingeschränkten Gesichtsfeld, flackernden Lichtern, einem Flimmern oder Lichtpunkten.

Bestimmte Nahrungsmittel als Auslöser

Eine der berühmtesten Migräne-Leidenden war wohl die Benediktinerin und Gelehrte Hildegard von Bingen (etwa 1098-1179), deren Visionen nach Ansicht von Medizinern migränebedingte Sehstörungen waren. Auch Lewis Carrolls berühmtes Werk "Alice im Wunderland" soll maßgeblich von den Migräne-Erfahrungen des britischen Schriftstellers (1832-1898) beeinflusst sein.

Wer unter Migräne leidet, ist meist familiär vorbelastet. "Die genetische Prädisposition ist entscheidend", sagt Ulrich Wüllner. So ist es auch bei Annemarie Heinen (55) aus Köln: "Meine Mutter hatte Migräne und mehrere meiner Cousinen und Tanten ebenfalls".

Heinen erlitt jahrzehntelang einmal die Woche einen Migräneanfall, der bis zu drei Tage lang anhielt. Ihre Attacken seien oft durch Stress ausgelöst worden, meint sie, "seelischen wie körperlichen". Auch bestimmte Nahrungsmittel wie Rotwein, der Geschmacksverstärker Glutamat oder auch starke Gerüche und Parfüms sowie Wetterumschwünge oder Jetlag können auslösende Faktoren sein.

Sport und Botox gegen die Symptome

"Migräne wird oft durch unser gesteigertes Lebenstempo hervorgerufen", meint der Neurologe Roland Sparing von der Uniklinik Köln. "Wir machen zu viele Dinge gleichzeitig." Zur Vorbeugung von Attacken rät er zu regelmäßigen Mahlzeiten und ausreichendem Schlaf. Akupunktur und Entspannungs- und Stressbewältigungsverfahren könnten ebenso helfen wie regelmäßiger Ausdauersport. "Dreimal die Woche eine halbe Stunde, schon strammes Spazierengehen reicht", sagt Wüllner.

Auch Medikamente können die Akutphase der Migräne abmildern. Häufig eingesetzte Mittel sind sogenannte Triptane. "Für die Wirksamkeit ist der Einnahmezeitpunkt, zu Beginn des Schmerzes, entscheidend", sagt Roland Sparing. In schweren Fällen helfe die Kombination mit Ibuprofen.

Wer mehrmals im Monat Migräne hat oder unter sehr schweren Anfällen leidet, für den kommen auch Betablocker, Antiepileptika oder sogenannte Calziumantagonisten zur Vorbeugung infrage. Sie verschaffen Linderung und verringern die Häufigkeit der Anfälle um etwa die Hälfte. Völlig verhindern können sie Migräne jedoch nicht.

Auch die Anwendung von Botulinumtoxin ("Botox") soll die Häufigkeit von Anfällen reduzieren, indem es die Muskeln im Gesicht lähmt. "Einige Studien haben die Wirkung ganz gut belegt, allerdings muss noch weiter untersucht werden, wie das kausal zusammenhängt", sagt Neurologe Sparing. Der Nachteil bei dieser Methode: Botox muss alle drei bis vier Monate gespritzt werden und kostet pro Anwendung 400 Euro, was der Patient selbst bezahlen muss.

Einen Trost immerhin gibt es für Patientinnen: "Migräne ist in der aktiven Lebensphase stärker ausgeprägt. Nach Einsetzen der Menopause wird es oft besser", sagt Sparing.

 

epd