Gaddafi-Sohn sieht kein Ende der Regierung nahen
Selbstbewusst, angriffslustig, siegesgewiss: Während alle Welt rätselt, wo sich Libyens Diktator Gaddafi aufhält, taucht sein angeblich festgenommener Sohn überraschend in Tripolis auf - und behauptet, die Stadt sei in Regierungshand.

Der überraschende Auftritt von Gaddafi-Sohn Saif al-Islam in Tripolis hat Zweifel an den Erfolgsmeldungen der libyschen Rebellen geweckt. Rund 24 Stunden nachdem die Aufständischen seine Festnahme gemeldet hatten, fuhr der 39-Jährige in der Nacht zum Dienstag vor einem Journalisten-Hotel in Tripolis vor und behauptete, die Stadt sei in Regierungshand. Der älteste Gaddafi-Sohn Mohammed war nach arabischen TV-Berichten schon am Montag aus Rebellenhand befreit worden. Der Verbleib von Diktator Muammar al-Gaddafi blieb weiter unklar.

Unterdessen gingen die Kämpfe rund um die Residenz Gaddafis in Tripolis weiter. Wie der arabische Nachrichtensender Al-Arabija unter Berufung auf die Rebellen berichtete, griff auch die Nato in der Nacht das Anwesen im Stadtteil Bab Al-Asisija an. Es seien schwere Explosionen zu hören gewesen. "Es ist noch nicht vorbei", sagte US-Präsident Barack Obama am Montag (Ortszeit) in einer von den großen amerikanischen TV-Sendern ausgestrahlten Audio-Botschaft zur Lage in Libyen. Noch hätten die Rebellen den Machtkampf in Tripolis nicht endgültig gewonnen. "Doch so viel ist klar: Das Gaddafi-Regime ist am Ende und die Zukunft Libyens liegt in der Hand des Volkes."

Gaddafi-Sohn sieht das Ende nicht in Sicht

Mehrere Fernsehsender strahlten am Dienstag Bilder des selbstbewussten Auftritts von Saif al-Islam in Tripolis aus. Der 39-Jährige mit internationalem Haftbefehl gesuchte Gaddafi-Sohn sei in einem gepanzerten Fahrzeug vor dem Hotel Rixos vorgefahren, das in einem von Regierungstruppen kontrollierten Gebiet liegt, berichtete ein Korrespondent der britischen BBC.

Saif al-Islam bestritt vor den Journalisten, dass die Aufständischen den größten Teil der Hauptstadt unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Es habe sich um eine Falle gehandelt. "Wir haben den Rebellen das Rückgrat gebrochen", sagte er dem BBC-Bericht zufolge während der kurzen Unterhaltung mit den Reportern. CNN zitierte ihn mit den Worten: "Tripolis ist unter unserer Kontrolle." Auf die Frage, ob sein Vater sich noch in Tripolis befinde und in Sicherheit sei, habe er achselzuckend "selbstverständlich" erwidert.

Dem BBC-Bericht zufolge blieb bei dem kurzen Auftritt am Hotel unklar, ob Saif al-Islam Gaddafi aus der Hand der Rebellen freigekommen ist - oder ob er sich überhaupt nicht in ihrer Gewalt befunden hatte. Wie es weiter hieß, strahlte der regierungstreue Sender al-Urubah in der Nacht jedoch eine kurze Erklärung des Gaddafi-Sohns aus, in der dieser bestritt, gefangen genommen worden zu sein.

Um Gaddafis Bunker wird gekämpft

Die Aufständischen hatten in der Nacht zum Montag gemeldet, sie hätten Saif al-Islam in Tripolis gefangen genommen und seinen Halbbruder Mohammed unter Hausarrest gestellt. Kurz danach hatte auch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, die Festnahme von Saif al-Islam bestätigt. Gegen den 39-Jährigen liegt - ebenso wie gegen Muammar al-Gaddfi und dessen Schwager, Geheimdienstchef Abdulah Senussi - ein internationaler Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Am Montag hatte Moreno-Ocampo bereits mit Vertretern des libyschen Übergangsrates über eine mögliche Überstellung von Saif al-Islam nach Den Haag gesprochen.

Der älteste Gaddafi-Sohn Mohammed wurde einem Fernsehbericht zufolge von Truppen des Regimes befreit. Regierungseinheiten seien dem in seinem Haus in Tripolis umstellten Mohammed al-Gaddafi zur Hilfe gekommen, berichtete der arabische Sender Al-Arabija unter Berufung auf Rebellenkreise in Bengasi. Unklar war am Dienstag der Aufenthaltsort von Al-Saadi al-Gaddafi, einem weiteren Bruder, den die Rebellen nach eigenen Angaben ebenfalls gefangen genommen hatten.

Die Rebellen geben an, nach ihrem Einmarsch in der Nacht zum Montag nun bis zu 95 Prozent der libyschen Hauptstadt zu kontrollieren. Die Residenz des Diktators auf einem schwer gesicherten Militärgelände in Bab Al-Asisija ist aber weiter in der Hand der Regierungstruppen. Ein Bunkersystem unter der Anlage gilt als ein möglicher Aufenthaltsort Gaddafis.

Frankreich, England und USA planen schon für die Zeit nach Gaddafi

Die Libyen-Kontaktgruppe will an diesem Donnerstag in Istanbul über die schwierige Lage in dem nordafrikanischen Land beraten. Es werde ein Treffen auf Ebene der politischen Direktoren der Außenministerien geben, teilte die türkische Regierung mit. Spanien sprach sich für eine neue UN-Resolution zu Libyen aus. Der UN-Sicherheitsrat müsse möglichst rasch einen neuen Beschluss fassen, der der aktuellen Situation in dem nordafrikanischen Land Rechnung trage, erklärte die Madrider Regierung.

Aus Großbritannien kamen derweil weiterhin siegesgewisse Signale. Die endgültige Niederlage des Regimes von Muammar al-Gaddafi sei nur noch "eine Frage der Zeit", sagte Vize-Regierungschef Nick Clegg. Gaddafis Militär sei in die Ecke gedrängt. Den Auftritt des gefangen geglaubten Gaddafi-Sohnes Saif al-Islam am Dienstag wertete Clegg nicht als entscheidenden Rückschlag für die Rebellen. "Das ist kein Zeichen für ein größeres Comeback des Gaddafi-Regimes", sagte der Liberaldemokrat.

Clegg leitete am Dienstag eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in London in Vertretung von Premierminister David Cameron. Cameron war am Dienstag an seinen Urlaubsort in Cornwall zurückgereist. Am Abend zuvor hatte er noch mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama telefoniert. Dabei wurden unter andere Pläne für eine friedliche Neuordnung in Libyen diskutiert.

dpa