"Italienische Regierung lässt Steuersünder ungeschoren"
In Roms Shopping-Meile rund um die Spanische Treppe fühlen sich Touristen und wohlhabende Römer durch Krisenstimmung und purzelnde Aktienkurse beim Einkaufen offenbar kein bisschen gestört. Während das italienische Parlament auf die Sommerpause verzichtet, um schmerzhafte Sparpläne auf den Weg zu bringen, drängen sich Roms Schöne und Reiche in der Via Condotti, um bei Prada Luxusturnschuhe oder bei Armani Mode für mehrere Tausend Euro das Kleidungsstück zu kaufen.
23.08.2011
Von Bettina Gabbe

Opposition und Kirche, aber auch Abgeordnete der Regierungsfraktionen üben Kritik an den geplanten Kürzungen in Höhe von 45 Milliarden Euro und unterbreiten dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bereits Verbesserungsvorschläge. Nach Berlusconis Plänen sollen allein die kommunalen Behörden neun Milliarden Euro einsparen. Die Kapitalertragssteuer soll von 12,5 auf 20 Prozent erhöht werden. Auch über Steuererhöhungen bei Glücksspiel, Tabak und Benzin soll die Schuldenlast Italiens, die 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt, gesenkt werden.

"Die übliche Mogelpackung" nennt ein römischer Angestellter das Sparpaket entnervt. "Natürlich" würden wieder nur diejenigen zur Kasse gebeten, denen der Staat die Steuern direkt von ihrem Gehalt abzieht. Viele erfolgreiche Selbstständige, die tricksten und beim Finanzamt extrem geringe Einnahmen angäben, dürften sich ins Fäustchen lachen, sagt er mit der ohnmächtigen Wut vieler Steuerzahler.

"Warum bekämpft der italienische Staat zu wenig den Steuerbetrug?"

"Ich begreife nicht, warum das Schwert nicht auch auf das riesige System der Steuerhinterziehung niedergegangen ist", findet auch der Soziologe Daniele Marini von der Universität Padua und beklagt, dass der Staat den ausgeprägten Steuerbetrug zu wenig bekämpft. "Die Kommunen werden an der Grundversorgung sparen müssen, das heißt am Gesundheitswesen und an den Kinderkrippen. Gleichzeitig werden sie die Abgaben erhöhen", beklagt Marini. Er rechnet mit einem "depressiven Effekt" für die Mittelschicht.

Die Vorsitzende der größten Gewerkschaft CGIL, Susanna Camusso, kündigte nach Bekanntwerden der Sparpläne sofort einen Generalstreik an. Schatzminister Giulio Tremonti versteht die Aufregung nicht. Er zeigt sich davon überzeugt, "dass ein Arbeiter nicht einen Euro mehr zahlen muss, denn wir haben Gesundheitswesen, Schule und Renten von den Sparmaßnahmen ausgenommen". Hingegen werde auf Jahreseinkommen oberhalb von 90.000 Euro eine Reichensteuer erhoben. Gegen die Einführung einer regulären Vermögenssteuer wehrt sich Berlusconi allerdings nach wie vor.

Italienische Erzdiözese kündigt Widerstand an

Für die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" spiegeln die geplanten Sparmaßnahmen "den völligen Mangel bei einem Großteil der politischen Klasse an Sensibilität für die Stimmung im Land". Viele Italiener seien erbost über Privilegien von Politikern, die neben gut bezahlten Tätigkeiten als Abgeordnete weiterhin etwa als Anwälte arbeiteten. Als Zeichen des guten Willens müssten deshalb nach Auffassung des Leitartiklers der auflagenstarken Tageszeitung, Sergio Romano, umgehend die Zahl der Parlamentssitze gekürzt werden.

Mit Neapel kündigte eine der wichtigsten italienischen Erzdiözesen erbitterten Widerstand gegen die im Sparpaket vorgesehene Verlegung einiger kirchlicher Feiertage auf Wochenenden an. So sei die Zeremonie zur Verflüssigung des Blutes des Stadtheiligen Januarius nicht auf einen Arbeitstag verschiebbar, erbost sich das Erzbistum in einer offiziellen Note. Mehrmals im Jahr ereignet sich in der Stadt am Vesuv an wichtigen Feiertagen das Blutwunder - das nächste Mal am Montag, den 19. September.

epd