Das Dilemma um den Friedhof des Herrn K.
Ein als Bauland ausgewiesenes jüdisches Gräberfeld im rheinland-pfälzischen Wallertheim sorgt für Ratlosigkeit. Denn im Judentum werden Friedhöfe für die Ewigkeit angelegt. Die zuständige Kreisverwaltung stoppte den Bau eines Einfamilienhauses.
23.08.2011
Von Karsten Packeiser

Das Bauschild auf der Wiese ist wieder abgebaut, die neue Einbauküche bleibt wohl noch länger in einer Garage eingelagert. Derzeit steht für Matthias K. in den Sternen, wie es mit seinem Traum vom Eigenheim weitergeht. Er hatte ein Baugrundstück gekauft und wurde damit, ohne es zu ahnen, zum Eigentümer des alten jüdischen Dorffriedhofes. Für gläubige Juden stellen Bauarbeiten auf einem für die Ewigkeit angelegten Gräberfeld einen inakzeptablen Tabubruch dar.

Seit die Kreisverwaltung Alzey-Worms vor zwei Monaten einen Baustopp anordnete, steckt der Bauherr in einem Dilemma, an dem er selbst offensichtlich keinerlei Schuld trägt. Das Gelände war 1992 von der Gemeinde als Baugebiet ausgewiesen worden, alle nötigen Genehmigungen lagen bereits vor. Derzeit versuchen die zuständigen Behörden das weitere Prozedere zu klären. Auch eine internationale Rabbiner-Delegation wollte sich am Dienstag vor Ort ein Bild von der Lage machen.

"Es geht um meine finanzielle Existenz"

Matthias K. hat, wie er selbst sagt, längst kein Interesse mehr daran, auf einem Friedhof zu bauen. Aber er fürchtet auch, auf Kosten von schätzungsweise 200.000 Euro sitzen zu bleiben: Ausgaben für ein nicht verwertbares Grundstück, Grunderwerbssteuer, Vertragsstrafen an das Bauunternehmen und die Bank. "Das sind Summen, bei denen es um die finanzielle Existenz geht", sagt er.

Nachdem er etliche Stunden mit Archivanfragen und dem Studium alter, teils in Sütterlinschrift verfasster Akten verbracht hatte, konnte Matthias K. die Geschichte des bis ins 19. Jahrhundert hinein genutzten Friedhofs weitgehend rekonstruieren. Demnach war das Grundstück 1934 bei einem Flurbereinigungsverfahren von einem privaten Eigentümer übernommen worden. Der Zeitpunkt und die geringe Entschädigung legen die Vermutung nahe, dass die Abtretung unter Zwang erfolgte. Als Verwandte des heutigen Eigentümers die Fläche erwarben, hatte die im Laufe der Jahre schon mehrfach den Besitzer gewechselt.

Nach dem Ende der Hitler-Barbarei hatte sich die junge Bundesrepublik gegenüber dem Zentralrat der Juden verpflichtet, das ewige Ruherecht auf den jüdischen Gräberfeldern zu respektieren und die Anlagen zumindest mit einfachen Mitteln instand zu halten. Doch die Verpflichtung gilt nur für diejenigen Flächen, die in eine Liste mit bundesweit rund 2.000 Friedhöfen aufgenommen wurden. Der alte jüdische Friedhof von Wallertheim fehlt dort, anders als ein zweites, neueres Gräberfeld im Ort.

"Auf dem Boden des Moralischen"

Einen Rechtsanspruch darauf, das Gelände auf ewige Zeit unangetastet zu erhalten, gebe es deshalb im vorliegenden Fall nicht, sagt Bauamtsleiter Herbert Schmitt: "Wir bewegen uns auf dem Boden des Moralischen." Wieso die Gräber in Vergessenheit gerieten, bleibt vorerst unklar. Weder der Ortsbürgermeister noch die jüdische Gemeinde Mainz wollten sich auf Anfrage zu der Angelegenheit äußern.

Es muss aber vor Ort immer Einwohner gegeben haben, die sehr wohl über die Vorgeschichte des Grundstücks Bescheid wussten. So wurde der Baustopp erlassen, bevor die Arbeiten überhaupt begonnen hatten - weil die Denkmalschutzbehörde den Hinweis eines Wallertheimers erhalten hatte, dass in seinem Dorf ein jüdischer Friedhof zugebaut werden solle.

Auch anderenorts in der Bundesrepublik scheiterten Bauvorhaben bereits an unerwartet entdeckten jüdischen Gräbern. In Mainz etwa waren Arbeiter im Jahr 2007 in einer Baugrube nahe des bekannten jüdischen Friedhofs auf teils über 900 Jahre alte Grabsteine gestoßen. Die Stadt ließ das Projekt stoppen und stellte dem Bauunternehmer ein Alternativgrundstück zur Verfügung. Gegen den Bau eines Einkaufszentrums in Hamburg-Ottensen demonstrierten Anfang der 90er Jahre fromme Juden aus aller Welt. Das Gebäude wurde trotz der Proteste fertiggestellt, allerdings ohne die ursprünglich geplante Tiefgarage.

epd