Die Nato sucht nach ihrer Rolle in Libyen
Wie geht es weiter in Libyen? Niemand weiß es so genau, aber dass die Kämpfe bereits in Tripolis angekommen sind, deuten viele Beobachter als nahendes Ende von Gaddafis Herrschaft. Die Nato wird sich dann die Frage stellen müssen: Was nun? Die UN-Resolution zum Libyen-Einsatz sah den Schutz der Zivilbevölkerung vor, mehr nicht. Was passiert, wenn die Rebellen in Libyen wirklich gewinnen, liegt noch im Dunkeln.
22.08.2011
Von Dieter Ebeling

Dies ist noch nicht das Ende. Aber das Einrücken der libyschen Rebellen in die Hauptstadt Tripolis ist eine wichtige Etappe im Kampf der Opposition gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Wichtig auch für die Nato, die seit 31. März rund 7.500 Kampfeinsätze gegen Soldaten und Einrichtungen Gaddafis flog – und die spätestens jetzt den internen Streit um den Militäreinsatz aufarbeiten muss.

Aber zunächst stellt sich die Frage, wie es nach dem Sturz Gaddafis weitergehen soll. Soll die Nato sich an einer Friedenstruppe beteiligen, sofern diese vom Übergangsrat der Rebellen und/oder den Vereinten Nationen für nötig gehalten wird? Schon seit Wochen mahnt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die internationale Gemeinschaft müsse sich auf die Nach-Gaddafi-Zeit vorbereiten. Falls es eine Friedenstruppe gibt, so müsste wohl auch in Deutschland über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Libyen entschieden werden.

US-Verteidigungsminister: "Zweigeteilte Nato"

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hofft zwar, dass in Libyen keine militärische Präsenz, sondern "ökonomische und infrastrukturelle Hilfe, vielleicht beim Aufbau von Sicherheitskräften" benötigt wird. Seit Anfang Juni steht er jedoch im Kreise seiner Nato-Kollegen in Brüssel so im Wort: "Wenn es anders kommen sollte, dann werden wir das prüfen – und konstruktiv prüfen." In der Brüsseler Nato-Zentrale wird daher fest mit einem massiven deutschen Engagement gerechnet.

Denn an der deutschen Haltung zum Nato-Einsatz in Libyen hat es im Bündnis manche Kritik gegeben. Die Berliner Enthaltung im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Resolution zum Schutz der Bevölkerung ist bei einer Reihe von Bündnispartnern mit Unverständnis aufgenommen worden. Massive Kritik – wenn auch ohne namentliche Nennung Deutschlands – kam im Juni vom scheidenden US-Verteidigungsminister Robert Gates.

Gates sprach von einer "zweigeteilten" Nato. Und schon nach elf Wochen Einsatz, so klagte er, sei den ersten Verbündeten die Präzisionsmunition ausgegangen: eine Folge jahrelanger drastischer Einsparungen in den Verteidigungsbudgets. Nur neun der 28 Nato-Mitglieder nahmen an den Kampfeinsätzen über Libyen überhaupt teil. Vor diesem Hintergrund sind in der Nato nun die Erwartungen an Deutschland umso höher.

Die Nato muss auch mit Russland reden. Moskau ist zutiefst verärgert, weil es in den Nato-Bombardierungen eine Verletzung der UN-Resolution sieht, die nur den Schutz von Zivilisten erlaubte. Die Nato hat das stets zurückgewiesen und behauptet, sie sei völlig unparteiisch. Aber sie hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sie das Verschwinden Gaddafis für unverzichtbar hielt.

Wirtschaft aufbauen statt Demokratie?

"Libyen ist nicht nur unser Baby", hieß es am Montag im Nato-Hauptquartier. Gemeint ist: Die gesamte internationale Gemeinschaft müsse jetzt bereit sein, Libyen in unterschiedlicher Weise zu helfen. Die EU verfügt derzeit über knapp 7 Milliarden Euro, um den vom demokratischen Aufbruch veränderten Staaten Nordafrikas zu helfen.

Aber Libyen sei nicht nur ein im Grunde reiches, sondern auch sehr kompliziertes Land, mahnt Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ihr Arbeitsfeld sind die Außenbeziehungen der Europäischen Union. "Die libysche Selbstbestimmung ernst nehmen", rät sie den westlichen Politikern. Es gehe nicht darum, in die kommende Entwicklung "einzugreifen und zu lenken, sondern allenfalls zu begleiten".

Als vorrangige Aufgabe der Europäer sieht Bendiek den Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen zu Libyen ohne Vorbedingung. Da gleichzeitige wirtschaftliche und demokratische Reformen "immer schwierig" seien, rät sie, sich zunächst um die Wirtschaft zu kümmern. Wirtschaftliches Wohlergehen führe dazu, "dass Menschen dann die Teilhabe am politischen Prozess einfordern". Und: "Die Lehre aus der Vergangenheit muss sein, dass man Demokratie nicht von außen verordnen kann."

dpa