Gaddafis Regime vor dem Ende - "Bundeswehreinsatz denkbar"
Jubelfeiern in Libyen: Während sich Rebellen in der Hauptstadt Tripolis noch Gefechte mit Anhängern Gaddafis liefern, wird der Sturz des Regimes gefeiert. Der nationale Übergangsrat bereitet sich auf die Machtübernahme vor. Währenddessen hat Außenminister Westerwelle einen Einsatz der Bundeswehr zur Friedenssicherung nicht ausgeschlossen.

Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Aufstandes gegen Muammar al-Gaddafi steht das libysche Regime vor dem Ende. Rebellenkämpfer lieferten sich am Montag schwere Gefechte um die Residenz Gaddafis in der Hauptstadt Tripolis, ohne dass der Aufenthaltsort des seit 42 Jahren herrschenden Gaddafi bekannt war. Ein dpa-Mitarbeiter berichtete am Vormittag, es seien Schüsse und schwere Detonationen zu hören. Zwei Söhne des Despoten wurden festgenommen, ein dritter unter Hausarrest gestellt. Nachdem es in der Nacht Jubelfeiern im Zentrum der Hauptstadt gegeben hatte, harrten Zivilisten am Montag in ihren Wohnungen aus.

In der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Konflikts im Ölförderland Libyen sanken am Montag die Ölpreise weiter. Libyen ist Mitglied der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) und musste die Ölförderung wegen des Bürgerkriegs in den vergangenen Monaten zeitweise einstellen.

Schüsse in der Hauptstadt

Die Aufständischen meldeten auf ihren Internetseiten, dass sie größere Teile von Tripolis unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Kämpfe gebe es noch um das Gebäude des Staatsfernsehens. Der Mobilfunkanbieter Libyana sei von Rebellenkämpfern besetzt. Unterdessen berichteten Einwohner, dass in der Hauptstadt das Internet wieder funktioniere. Es gebe weiter Wasser und Strom.

Die Leibgarde von Gaddafi habe die Waffen gestreckt, berichteten Sprecher der Aufständischen im Sender Al-Dschasira. Anhänger Gaddafis kämpfen aber in mehreren Widerstandsnestern gegen die Aufständischen. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete unter Berufung auf die Führung der Aufständischen, dass Panzer aus dem Hauptquartier Bab Al-Asisija in Tripolis vorstießen. Dabei feuerten sie auf Zivilisten.

Am frühen Montagmorgen brachten die Rebellen auch den Grünen Platz im Herzen von Tripolis unter ihre Kontrolle. Fernsehsender zeigten Hunderte von Menschen, die auf dem Platz in der Nähe des Anwesens von Gaddafi feierten und Freudenschüsse abgaben. In der Rebellenhochburg Bengasi und anderen Städten wurden in der Nacht Feuerwerkskörper gezündet und Freudenschüsse abgefeuert.

Barack Obama erfreut

US-Präsident Barack Obama sieht Libyen vor dem Wendepunkt. Tripolis entgleite dem "Griff eines Tyrannen", das Regime zeige Anzeichen des Zusammenbruchs, erklärte Obama am Sonntagabend (Ortszeit) nach einer Mitteilung des Weißen Hauses in Washington. Der sicherste Weg, um das Blutvergießen zu beenden, sei einfach: "Muammar al-Gaddafi und sein Regime müssen erkennen, dass ihre Herrschaft zu einem Ende gekommen ist." Aus den Szenen in Tripolis sei ersichtlich, "dass das Ende für Gaddafi nahe ist", heißt es in einer Erklärung des britischen Premiers David Cameron.

Auch die Nato rechnet mit einem schnellen Ende des Regimes. "Heute können wir anfangen, eine neue Zukunft aufzubauen", erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in der Nacht zum Montag in Brüssel. "Das Gaddafi-Regime bröckelt eindeutig." Rasmussen forderte Gaddafi und seine Truppen auf, die Macht niederzulegen. "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Libyen zu schaffen - einen Staat, der auf Frieden beruht, nicht auf Angst; Demokratie, nicht Diktatur; dem Willen aller, nicht den Launen weniger."

Drei Gaddafi-Söhne gefangen genommen

Im Westen von Tripolis nahmen die Rebellen laut Al-Dschasira drei Söhne von Gaddafi gefangen, darunter den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Saif al-Islam. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder Al-Saadi in einem Touristendorf festgesetzt worden, berichtete ein Sprecher der Aufständischen, Abu Bakr al-Tarbulsi. Der älteste Sohn, Mohammed al-Gaddafi, wurde in seinem Anwesen unter Hausarrest gestellt. Die Aufständischen würden für seine Sicherheit garantieren, sagte Mohammed al-Gaddafi in der Nacht zum Montag in einem Telefoninterview des Fernsehsenders Al-Dschasira.

Gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und seinen Schwager, den Geheimdienstchef Abdullah Senussi, liegen internationale Haftbefehle vor. Ihnen werden schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) rief den libyschen Übergangsrat in Bengasi deshalb auf, Saif al-Islam nach Den Haag zu überstellen.

Gaddafi selbst wandte sich am späten Sonntagabend zum dritten Mal an diesem Tag an seine Anhänger. In einer Audio-Botschaft beschwor er im Staatsfernsehen seine Gefolgsleute: "Ihr müsst auf die Straße gehen, um die Ratten und Verräter zu bekämpfen. Alle Stämme müssen nach Tripolis marschieren, um es zu beschützen. Wenn nicht, werdet Ihr Sklaven der Kolonialisten werden." Plötzlich stoppte seine Stimme. Für die Unterbrechung der Nachricht gab es keine Erklärung. Unklar war, von wo aus Gaddafi gesprochen hatte.

Westerwelle schließt Bundeswehr-Einsatz nicht aus

Außenminister Guido Westerwelle schließt den Einsatz von deutschen Soldaten in Libyen nach dem Sturz des Machthabers Muammar al-Gaddafi nicht aus. Westerwelle verwies am Montag in Berlin darauf, dass von den Vereinten Nationen zum Beispiel der Wunsch nach Absicherung von humanitärer Hilfe kommen könnte. Dafür sei es derzeit aber noch "zu früh". Zugleich rechtfertigte er nochmals die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat.

Westerwelle sagte: "Ich schließe nicht aus, dass die Vereinten Nationen, wenn ein entsprechendes Mandat beschlossen werden sollte, auch verschiedene Staaten nach etwas fragen werden." Zunächst gehe es aber darum, dass sich das libysche Volk selbst demokratisch neu aufstellen müsse. "Die deutsche Kompetenz besteht vor allen Dingen darin, dass wir beim wirtschaftlichen Aufbau helfen können."

Bislang keine Anfrage

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes gab es vom Übergangsrat der libyschen Rebellen bislang keine Bitte um deutsche militärische Unterstützung. "Der Wunsch ist nicht geäußert worden", sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Andreas Peschke. Offen ist noch, wann das eingefrorenen Milliardenvermögen des Gaddafi-Regimes freigegeben werden kann. Allein auf deutschen Konten liegen mehr als sieben Milliarden Euro.

Erneut verteidigte Westerwelle die Entscheidung, der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat nicht zuzustimmen. "Jeder hat auf seine Art und Weise einen Beitrag geleistet, dass die Zeit des Regimes von Oberst Gaddafi vorbei ist. Wir Deutsche mit unseren politischen Prioritäten, mit unserer gezielten Sanktionspolitik. Das wird auch international sehr geschätzt."

dpa