Herr Brandt, können Sie ein Gedicht aufsagen?
Matthias Brandt: Aus dem Stegreif? Nee, ich glaube nicht. (lacht)
Dann hat Ihnen Kommissar Hanns von Meuffels, den Sie im neuen ARD-Krimi "Polizeiruf 110" spielen, etwas voraus. Er rezitiert in einer Szene einen Vers aus Baudelaires "Blumen des Bösen" - ganz schön gebildet...
Brandt: Ja, bewundernswert, nicht? Das ist ja das Tolle an meinem Beruf, dass ich so was machen kann, auch wenn es meiner eigenen Lebensrealität nicht entspricht. Ich musste während meiner langen Theaterzeit so viele anspruchsvolle Texte einstudieren, dass mir fürs Gedichte auswendig lernen wohl die Aufmerksamkeit gefehlt hat. Ich habe aber sehr viel für Sprache und für Lyrik übrig, auch wenn ich Ihnen jetzt wirklich kein Gedicht aufsagen kann.
Das Nordlicht von Meuffels ist neu in München und im Polizeipräsidium ein Fremdkörper. Kennen Sie solche Situationen?
Brandt: Absolut, ich glaube, das kennt jeder. Genau das hat mich auch an der Figur interessiert und gereizt, dass sie eben fremd ist. Für die Konstellation bietet übrigens München ideale Voraussetzungen - nicht, weil es abweisend wäre, aber weil es vielleicht die Gegend mit dem stärksten regionalen Selbstbewusstsein ist. Die Bayern heißen einen willkommen, machen einem aber auch klar, wo die Grenzen sind.
Wann haben Sie sich zum letzen Mal irgendwo fremd gefühlt?
Brandt: Schwer zu sagen, aber ich erinnere mich an meine Theaterzeit, wenn man in ein neues Ensemble kam, zum Beispiel. Da fremdelt man am Anfang, das ist völlig normal und auch nicht anders, als wenn ein Kind in einen neuen Kindergarten oder in eine neue Klasse kommt. Fremdheitserfahrungen sind mir nicht fremd, wenn Sie so wollen. Vor allem, wenn man wie ich nicht über ein ausgeprägtes Heimatempfinden verfügt.
Warum nicht?
Brandt: Das ist sicher biografisch zu begründen. Wir sind in meiner Kindheit und Jugend relativ oft umgezogen, und diese gewisse Rastlosigkeit wurde dann noch mal bestärkt durch diesen wandernden Beruf, den ich gewählt habe. Ich habe früher alle paar Jahre das Theater gewechselt, das fördert nicht gerade die Wurzelbildung. Seit 1998 lebe ich in Berlin - es ist der Ort, den ich mir freiwillig ausgesucht habe und an dem ich freiwillig bleibe. Mehr Heimatgefühl geht bei mir nicht. Ich bin ja auch in Berlin geboren und habe hier meine ersten Lebensjahre verbracht.
Ihr Vater, der spätere Bundeskanzler Willy Brandt, war damals Regierender Bürgermeister von Berlin. Was würde er als Sozialdemokrat dazu sagen, dass Sie einen adligen Kommissar spielen?
Brandt: Keine Ahnung, da müssten wir jetzt wohl eine spiritistische Sitzung abhalten, um das rauszukriegen. Ich denke, man darf diese Adelsgeschichte auch nicht überbewerten - das ist nur eine Farbe der Figur. Die Idee ist, dass sich dieser Mann zwar losgesagt hat von seiner adligen Sippe, aber dieses Paket an Familientradition immer noch mit sich rumschleppt. Durchaus auch im positiven Sinne: Hanns von Meuffels hat eine starke Verbindung zu preußischen Tugenden wie Geradlinigkeit, Mut und Zurückhaltung - genau das finde ich an der Figur spannend.
"Clint Eastwood ist zu einem
der bedeutendsten Filmemacher
unserer Zeit geworden"
Hat die Familie Brandt früher Krimis im Fernsehen geguckt?
Brandt: Nee, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich war schon so früh auf die "Sportschau" versessen, dass mich nur wenig anderes interessiert hat. Mein Vater hat gern Western geschaut - und ich habe dieses Genre später dann auch für mich entdeckt.
Welche Western mögen Sie denn? Die klassischen amerikanischen mit John Wayne oder lieber Italowestern mit Clint Eastwood?
Brandt: Ich kann beiden viel abgewinnen, mein absoluter Lieblingswestern ist aber "Rio Bravo" mit John Wayne und Dean Martin. Clint Eastwood ist jemand, den ich weit über die Grenzen dieses Genres hinaus über alle Maßen bewundere. Er ist ja zu einem der bedeutendsten Filmemacher unserer Zeit geworden - das konnte man zu Zeiten des Spaghettiwesterns ja noch gar nicht vermuten.
Das Fernsehen hat Sie relativ spät entdeckt, mittlerweile gehören Sie aber zu den Stars der Branche. Wie fühlt sich das an?
Brandt: Ich weiß gar nicht, ob man das so sagen kann. Manchmal gibt es natürlich Momente, wo man wie jeder andere auch einfach für sich sein will und lieber seine Ruhe hätte. Ich habe auf der anderen Seite aber auch einen ziemlich pragmatischen Umgang mit meiner Popularität. Wenn man, und zwar nicht gezwungenermaßen, regelmäßig im Hauptabendprogramm im deutschen Fernsehen auftritt, dann kann man nicht verlangen, dass einen keiner erkennt. Die meisten Menschen haben aber ein Gespür und Verständnis dafür, dass es Situationen gibt, wo man für sich sein will. Ich komme damit eigentlich ganz gut zurecht.
Der zweite "Polizeiruf 110"-Krimi mit Ihnen als Kommissar von Meuffels soll nicht um 20.15 Uhr, sondern erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Es geht um einen Selbstmordattentäter, die Jugendschutzbeauftragte des Bayerischen Rundfunks hat den späteren Sendetermin durchgesetzt, weil sie glaubt, dass der Film für junge Zuschauer zu brutal ist. Was sagen Sie dazu?
Brandt: Die Begründung ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Ich bin sehr traurig über die Entscheidung, weil ich sie falsch finde. Die Jugendschutzbeauftragte bezieht sich ja hauptsächlich auf Gewaltdarstellungen, die angeblich den Rahmen dessen sprengen, was zu dieser Sendezeit möglich ist. Dem kann ich beim besten Willen nicht folgen - man muss sich doch nur mal anschauen, was sonst so um diese Zeit im Fernsehen läuft.
Matthias Brandt, ein Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt (1913 - 1992), zählt seit einigen Jahren zu den meistbeschäftigten Charakterdarstellern im deutschen Fernsehen. Schon zweimal hat er den Grimme-Preis gewonnen. Der 49-Jährige lebt in Berlin und ist als "Polizeiruf "-Ermittler der Nachfolger des vor zwei Jahren gestorbenen Jörg Hube und dessen legendärem Vorgänger Edgar Selge.