Der größte Landkreis wird doppelt so groß wie das Saarland
Die Bevölkerung schwindet, die Finanzmittel sind knapp. In Mecklenburg-Vorpommern werden aus Spargründen die deutschlandweit größten Landkreise gebildet. Für manche Bürger droht die Fahrt in die nächste Kreisstadt bald zu einer halben Tagesreise zu werden.
19.08.2011
Von Martina Rathke

Die geplante Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern ist verfassungsgemäß: Im Nordosten werden nun die bundesweit größten Landkreise gebildet. Zweieinhalb Wochen vor der Landtagswahl wies das Landesverfassungsgericht am Donnerstag Beschwerden gegen das Vorhaben zurück. Die Greifswalder Richter erteilten aber Auflagen für die praktische Umsetzung. Die meisten Kreise sind nun weit größer als das Saarland. Begründet wird die umstrittene Maßnahme mit der sinkenden Bevölkerungszahl und ausbleibenden Finanzhilfen.

Nach jahrelangem Tauziehen werden zeitgleich mit der Wahl am 4. September aus den zwölf bestehenden Landkreisen sechs Großkreise gebildet. Der größte - der Kreis Mecklenburgische Seenplatte - wird mit künftig 5.469 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie das Saarland sein. Von den bislang sechs kreisfreien Städten behalten nur Rostock und Schwerin diesen Status.

"Kein Anspruch auf Gebietsbestand"

Fünf Landkreise und die kreisfreien Städte Greifswald und Wismar waren vor Gericht gezogen, weil sie das Recht auf kommunale Selbstverwaltung eingeschränkt und die Bürgernähe der Verwaltung in Gefahr sahen.

Das Land begründet die Reform mit dem anhaltenden Bevölkerungsschwund und dem absehbaren Rückgang der Zuschüsse von Bund und EU. Das im Juli 2010 vom Landtag beschlossene Projekt gilt als größtes Reformvorhaben der rot-schwarzen Landesregierung in der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Gegen die Gerichtsentscheidung sind keine Rechtsmittel möglich.

Das Recht auf Selbstverwaltung werde durch die Reform nicht verletzt, urteilten die Richter, die auch die Größe der künftigen Kreise nicht beanstandeten. Die Verfassung gebe zwar eine objektive Garantie für den Bestand von Kreisen, es gebe aber keinen Anspruch auf Gebietsbestand, sagte Gerichtspräsidentin Hannelore Kohl. Zudem habe der Gesetzgeber hinreichend und ergebnisoffen Alternativen geprüft.

Die Kläger hatten der Landesregierung vorgeworfen, die Einsparpotenziale der Reform schön gerechnet und Alternativmodelle nicht ausreichend geprüft zu haben. Zudem kritisierten sie, dass die langen Fahrwege von bis zu 100 Kilometern zur Kreisstadt die Bürger an der ehrenamtlichen Mitwirkung im Kreistag hindern.

Klagende Kreise und Städte enttäuscht

Das Gericht erteilte aber Auflagen: Der Gesetzgeber müsse die Entschädigungsregelungen für die Kreistagsabgeordneten mit langen Fahrwegen überprüfen. Auch stellte es die Verlegung von Kreissitzen in den Raum. Das Funktionieren eines Kreises sei aber nicht nur von der Größe, sondern von weiteren Faktoren wie Bevölkerungsdichte oder Finanzausstattung abhängig. Das vom Land prognostizierte Einsparpotenzial von 84 Millionen Euro begründet sich nach Auffassung des Gerichts auf belastbaren Erkenntnissen.

Derzeit leben im Nordosten rund 1,65 Millionen Menschen, Prognosen zufolge werden es 2020 nur noch 1,5 Millionen sein. Mecklenburg-Vorpommern weist mit 71 Einwohnern je Quadratkilometer bundesweit die geringste Bevölkerungsdichte auf.

Die Entscheidung fiel mit vier zu drei Richterstimmen allerdings äußerst knapp aus. Die klagenden Kreise und Städte reagierten mit Enttäuschung. Die knappe Entscheidung sei kein gutes Omen für den Start der Reform, sagte Ostvorpommerns Landrätin Barbara Syrbe (Linke).

dpa