Mehr Bewegungsfreiheit für Asylbewerber
Als einziges EU-Land schränkt Deutschland die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen mit einer sogenannten Residenzpflicht deutlich ein. Nun lockern immer mehr Bundesländer die restriktiven Regelungen.
19.08.2011
Von Karsten Packeiser

Einmal setzte sich Amir Bakhshi in einen Zug, fuhr mit der Bahn von Bad Kreuznach ins zwölf Minuten entfernte Ingelheim zur Geburtstagsfeier eines Freundes. Einfach so, ohne offizielle Erlaubnis. Als er die Grenze des Landkreises überquerte, machte sich der iranische Asylbewerber strafbar. Denn in Deutschland gilt für Flüchtlinge die sogenannte Residenzpflicht: Sie dürfen ihren Landkreis nicht verlassen. Einige Bundesländer lockern jetzt diese Regelung.

Asylbewerber, die den ihnen zugewiesenen Landkreis oder Regierungsbezirk auch nur für einige Stunden verlassen möchten, müssen das in der Regel bei der Ausländerbehörde beantragen. Oftmals werden dabei Gebühren fällig. Eine Erlaubnis wird nur erlaubt, wenn triftige Gründe vorliegen. "Manchmal fragen sie auf dem Amt: 'Warum musst du so oft zu deinem Mainzer Anwalt?'", erzählt der Iraner Bakhshi von seinen Erfahrungen mit den Behörden in Rheinland-Pfalz.

Fester Wohnsitz statt Residenzpflicht

Wie restriktiv die Residenzpflicht gehandhabt wird, ist von Bundesland zu Bundesland, von Kreis zu Kreis oder gar von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter unterschiedlich. Berlin und Brandenburg vereinbarten bereits eine gegenseitige Freizügigkeit für Flüchtlinge, andernorts dürfen Asylbewerber nach wie vor ihren Landkreis nicht verlassen.

"Die Bestimmungen sind offen für jede denkbare Schikane", urteilt Bernd Mesovic von "Pro Asyl". Flüchtlinge wurden schon bestraft, weil sie auf dem Weg von ihrem Flüchtlingsheim im äußersten Süden von Hessen in die zugehörige Kreisstadt mit dem Zug kurz baden-württembergisches Territorium passieren mussten. Gelegentlich haben Asylbewerber Probleme, zur Flüchtlingsberatung zu gelangen. Auch Genehmigungen für den Besuch des oder der Verlobten werden nach Angaben von Asylberatern oft verweigert.

"Wir sind der Ansicht, dass die Residenzpflicht völlig unnütz ist", sagt Mesovic. Um dem berechtigten Interesse von Ländern und Kommunen nachzukommen, die nach Deutschland gelangten Asylbewerber und die Kosten für ihre Unterbringung zu verteilen, wäre es ausreichend, den Flüchtlingen einen bestimmten Wohnsitz zuzuweisen. Ihre Reisefreiheit müsste dazu nicht eingeschränkt werden.

Der Bund will an der Regelung festhalten

Polizei und Justiz sind intensiv damit beschäftigt, Verstöße gegen die Residenzpflicht zu kontrollieren und zu ahnden. Bundesweit werden jedes Jahr mehrere Tausend Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Jahr 2008 wurden deswegen über 650 Flüchtlinge verurteilt, einige davon sogar zu Haftstrafen.

Die rot-grüne Landesregierung in Rheinland-Pfalz will nun die Residenzpflicht für Asylbewerber lockern. Künftig sollen die Betroffenen sich zumindest im gesamten Bundesland frei bewegen dürfen. Eine ähnliche Lockerung wurde zuvor bereits im schwarz-gelb regierten Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht. In Thüringen wurde die Bewegungsfreiheit ebenfalls gelockert.

Für eine komplette Abschaffung der Residenzpflicht müsste allerdings der Bund tätig werden. Der will aber an der Regelung festhalten, damit die Flüchtlinge während ihres Asylverfahrens leichter für die Behörden erreichbar sind.

 

epd