In den USA ist Schnäppchenjagd ein Massensport
Sparen mit Rabattgutscheinen war in den USA schon immer populär. Doch die schlechte Wirtschaft zwingt immer mehr Menschen zum "Couponing". Manche jagen aus purer Not nach Vergünstigungen, andere genießen die Spannung dabei. Und manchmal wird es auch zur Sucht.
18.08.2011
Von Gabriele Chwallek

"Ich zahle nicht gern den vollen Preis", sagt Kimberly Pepper-Hoctor. Und so greift sie jeden Sonntag zur Schere. Durchschnittlich sechs Stunden lang sitzt die Amerikanerin aus Maryland vor einem Haufen von Zeitungen und Postwurfsendungen, markiert, kalkuliert, sortiert - und schnippelt. Montags und mittwochs geht es dann los, in den Supermarkt, ins Kaufhaus oder auch in die Drogerie. Die Einkaufstaschen sind meist prall gefüllt, wenn Kimberly zurückkehrt, von Kosmetiktüchern über Zahnpasta bis hin zum Klopapier. Ist die Ware über 60 Dollar wert, hat die 42-Jährige gerade mal die Hälfte dafür gezahlt. Und das ist vielleicht sogar einer ihrer schlechteren Tage.

Kimberly ist eine erfolgreiche Schnäppchenjägerin. Möglich machen es die Coupons, Gutscheine über Waren-Rabatte, von denen es in den USA nur so wimmelt. Man findet sie in Zeitungen, Zeittungsbeilagen, in Reklamesendungen, in Läden und im Internet. Populär sind Coupons schon seit eh und je, doch die jüngste Rezession und die anhaltend schwache Wirtschaft haben die Zahl der Nutzer in Rekordhöhen katapultiert. Hinzu kommt eine wachsende Gemeinde von "bargain junkies" - Rabattsüchtige, die die Jagd nach dem besten Deal als Extremsport betreiben. So ist im Internet ein ganzes Netzwerk von Foren und Webseiten zum Austausch von Tipps entstanden, wie man an die besten Schnäppchen herankommt und sie womöglich noch besser macht.

Massenhaft angehäufte Waren

Die größte Website, slickdeals.net, hat allein 700 000 registrierte Mitglieder. Es gibt Bücher über das "couponing", Kurse, wie man es effektiv betreibt, und eine Show im Kabel-TV, in der Amerikaner die Schnäppchenjagd als Wettbewerb betreiben - und dabei oft so viele Waren anhäufen, dass sie einen eigenen Laden aufmachen könnten. 2007, also im Jahr vor dem Absturz der US-Wirtschaft, benutzten 63 Prozent der Amerikaner regelmäßig Coupons, wie die "Washington Post" unter Berufung auf das Unternehmen NCH Marketing Services berichtet. Von Herstellern ausgegebene Gutscheine im Wert von 2,6 Milliarden Dollar seien eingelöst worden. 2010 lagen die Zahlen bei 78 Prozent und 3,7 Milliarden Dollar, eine Rekordzahl von 330 Milliarden Coupons wurde angeboten, zitiert das Blatt Charlie Brown, einen Topmanager des Unternehmens.

Im ersten Halbjahr 2011 sind nach einer NCH-Mitteilung weniger Coupons verbreitet worden als im gleichen Zeitraum 2010, aber mehr wurden eingelöst. Verbraucher hätten dadurch in den ersten sechs Monaten 2011 bereits insgesamt zwei Milliarden Dollar gespart. Coupons in den USA sind so alt wie die Coca-Cola. Die ersten Rabattmarken teilte John Pemberton 1886 aus, um seine neue Getränkekreation zu vermarkten. Schnell fasste das Werbekonzept Fuß.

Nur gab es damals natürlich keine Schnäppchenjäger wie Michelle Harrison: Sie gehört zu den "Hardcore Couponers", ist sozusagen mit allen Wassern gewaschen, wenn es um den besten Deal geht. Laut wired.com brachte Harrison es durch ausgeklügelte Couponnutzung fertig, in einem Supermarkt Waren im Wert von rund 80 Dollar zu kaufen, ohne etwas zu bezahlen. Am Ende bekam sie sogar noch einen Dollar und acht Cents heraus. Das kriegte sie unter anderem hin, indem sie direkt vom Hersteller ausgegebene Gutscheine mit Coupons verband, die der Supermarkt selbst verteilte.

Auch die Kurse sind kostenlos

"Stacking" nennt man das im "Couponing"-Fachjargon. Auch Kimberly Pepper-Hoctor (Foto: dpa / Thomas Hoctor) beherrscht diese Kunst, hat alle Warengutscheine in Kategorien geordnet, gebündelt und die Ersparnisse kalkuliert, bevor sie zum Shoppen loszieht. Zu ihren großen Erfolgen gehört der Kauf von Deodorants zum Nulltarif, aber zu den wirklich Schnäppchen-Süchtigen zählt Kimberly denn doch nicht: Zumeist gibt sich die Amerikanerin mit Ersparnissen von 25 bis 50 Prozent zufrieden. Das lehrt sie auch in ihren kostenlosen, gut besuchten Couponing-Kursen: "Erwartet nicht, dass ihr alles umsonst kaufen könnt."

Kimberly lebt nicht in so knappen Verhältnissen, dass sie jeden Penny umdrehen müssten. Aber es ist auch nicht viel Geld übrig, etwa für Extras. Und Kimberly stammt aus bescheidenen Verhältnissen, hat von klein auf gelernt, Coupons zu nutzen. "Auf Geld zu achten, ist sozusagen zur Lebensweise geworden", sagt sie. Brown von NCH sieht eine solche Entwicklung bei zahlreichen Coupon-Nutzern. 2009 hätten viele nach eigenen Angaben geschnippelt, weil sie wegen der Rezession ihr Geld strecken mussten, zitiert ihn die "Washington Post". Heute sei Sparen ihre Einkaufsgewohnheit geworden. Dennoch, gibt Kimberly zu, etwas Rausch ist auch dabei: "Ich habe schon ein Hochgefühl, wenn mir ein Coup gelungen ist."

dpa