Wehrdienstberater: "Den Nachwuchs auf den Hof stellen"
Mit dem Ende der Wehrpflicht wird die Bundeswehr zunehmend zu einer reinen Berufsarmee. Den Streitkräften steht eine Reform ins Haus, an dessen Ende die Bundeswehr kleiner wird. Knapp 6.900 Soldatinnen und Soldaten sind bereits jetzt Ausland eingesetzt. Die Streitkräfte brauchen Nachwuchs. Dafür sollen Wehrdienstberater wie Julian Sandig sorgen, die im ganzen Land über den Dienst bei der Bundeswehr informieren. Sie machen mehr als nur Werbung.
17.08.2011
Von Hanno Terbuyken

"Ich möchte gern Scharfschütze werden. Was muss man dafür mitbringen?" Diese Frage kennt Julian Sandig schon. Er hört sie fast immer, wenn er vor Schülern steht und ihnen erzählen soll, was sie bei der Bundeswehr alles werden können. Oberleutnant Sandig ist Wehrdienstberater, sein Job ist es, Werbung für die Bundeswehr zu machen. Er und seine Kollegen sind dafür zuständig, "der Truppe den Nachwuchs auf den Hof zu stellen, der Soldat sein will und in der Lage ist, den fachlichen Ansprüchen gerecht zu werden", beschreibt Sandig. Dafür besucht der Oberleutnant Schulen und hält etwa zwei bis vier Vorträge in der Woche, "man ist viel unterwegs", sagt er.

Die Bundeswehr steht mit dem Ende des Zivildienstes und der Wehrpflicht ebenso wie die Sozialeinrichtungen vor der Frage: Wo kriegen wir unseren Nachwuchs her? Die Bundeswehr selbst sagt, sie habe eigentlich kein Rekrutierungsproblem. "Wir haben eine Bewerbungsabdeckung von 70 Prozent", erläutert Sandig, die Webseite der Bundeswehr ist noch spezifischer: Schon im Juli waren 97 Prozent der Stellen für Offiziersanwärter besetzt, außerdem 77 Prozent der Dienstposten für Unteroffiziere und Mannschaftsgrade. Die besitzen laut Bundeswehr zu 73 Prozent mindestens die mittlere Reife.

"Viele machen sich falsche Vorstellungen"

Für die 18 Jungen der Klasse, in der Sandig diesmal unterwegs ist, sind das keine guten Nachrichten. Sie gehen im CJD Alzey wieder zur Schule, weil sie nach ihrem ersten Schulabschluss nichts gefunden haben. Sie sind dort, weil sie anderswo kaum Perspektiven haben. Aber das CJD will kein Auffangbecken sein – ebenso wenig wie die Bundeswehr, das macht Wehrdienstberater Sandig deutlich, als er vor der Klasse steht. "Ein Hauptschulabschluss mit 3,5 – das wird schwer. Zwei Komma muss es schon sein", erklärt der Offizier. Die Bundeswehr nimmt nicht jeden, "von drei Bewerbern einen".

Im CJD Alzey, das weiß Sandig (Bild links, Foto: Terbuyken), nimmt er vor allem Illusionen. Der Offizier in Uniform hat keine Probleme, die Klasse ruhig zu halten. Er steht für einen Traum, für ein bestimmtes Bild: Männlichkeit, Disziplin, Macht. Aber Sandig macht auch ganz deutlich: Mit ihrem Bildungsweg können die Alzeyer Schüler keine Offiziere werden, für sie ist nur die Mannschaftslaufbahn eine Option. Und für viele vielleicht nicht einmal das.

Sozialpädagogin und Bildungsbegleiterin Jessica Monz weiß das auch, sie hat nicht zum ersten Mal die Bundeswehr eingeladen. Die Werbung an Schulen durch die Bundeswehr ist umstritten, insbesondere die Kooperationsverträge zur Einbindung der Bundeswehr an Schulen. Darum geht es in Alzey aber nicht. Pädagogin Monz sieht vor allem die Notwendigkeit, ihren Schülern einen Einblick zu geben: "Viele machen sich falsche Vorstellungen", erklärt sie, "mit Kriegsspielen am PC hat das nichts zu tun."

Wehrdienstberater Sandig ist mit ihr da einer Meinung. Seine Aufgabe beschreibt er vor allem als "Aufklärung". Auf politische Fragen nach dem Sinn des Libyen-Krieges oder nach dem Tod von Osama bin Laden antwortet er nicht, aber darüber, was die Jungs bei der Bundeswehr erwartet, spricht er frei, inklusive Auslandseinsatz und der Ausbildung an Waffen.

Das Ziel ist Aufklärung – danach will kaum einer zur Bundeswehr

Das Thema interessiert die Klasse, aber auch hier dämpft Sandig die Erwartungen, die die Jungen mitbringen. "Niemand will die Waffe benutzen müssen", sagt er und lenkt die Aufmerksamkeit der Jugendlichen weg von der Faszination durch Waffen und darauf, was Soldaten außer Schießen sonst noch alles leisten müssen – Teamfähigkeit, Respekt, Disziplin, Fitness, Durchhaltevermögen, alles, was Personalmanager in jedem Beruf gerne hören. Und dass man für die Bundeswehr einen halbwegs guten Abschluss braucht.

"Unser Ziel ist, dass unsere Schüler aufgeklärt werden", sagt Sozialpädagogin Monz. Jedes Jahr lädt sie deswegen Offiziere wie Sandig ein. In fünf Jahren sind nur zwei ihrer Schüler und Schülerinnen tatsächlich zur Armee gegangen, eine davon für eine zivile Ausbildung. Der Rest wird Fliesenleger, Tischler, Anlagenmechaniker, Hotelfachmann, Großhandelskaufmann, Lagerlogistiker. Wehrdienstberater Sandig stört sich nicht an dieser Quote. "Ich habe lieber zwei Interessierte als 100, die mir einfach nur so zuhören", sagt er.

Von den 18 Jungs in Alzey macht nach Sandigs Vortrag nur einer den Eindruck, es wirklich ernst zu meinen mit dem Soldatenberuf. Auch er ist einer der vier, fünf Schüler, die nach dem Vortrag des Offizieres die Köpfe über einem Laptop zusammenstecken. Auf YouTube finden sie eine Dokumentation über das Kommando Spezialkräfte, und über Minentaucher – die Elitesoldaten, die manche von ihnen gerne wären und doch nie sein können. Der, der zu Anfang gerne Scharfschütze sein wollte, sagt: "Ich spiel das immer." Für ihn und die allermeisten anderen seiner Mitschüler wird es beim Spiel bleiben.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de und schreibt das Blog "Angezockt".