Kinderkleidung und -schuhe, Windeln, Kinderautositze, Schul- und Kitaessen: Für all diese Waren zahlen Eltern die volle Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Ein Bündnis aus Sozialverbänden will das ändern, um Familien finanziell zu entlasten. Seit Mai sammeln die Initiatoren dafür Unterschriften. Ziel ist es, den ermäßigten Tarif von sieben Prozent auf sämtliche Produkte und Dienstleistungen für Kinder auszuweiten. Die Kampagne passt in die Zeit, denn die Bundesregierung will noch in dieser Legislaturperiode erste Vorschläge für eine Reform der Mehrwertsteuer vorlegen. Doch eilig hat sie es damit offenbar nicht.
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"Unsere Kampagne 'Mehrwert gerecht steuern' ist die logische Fortsetzung einer Politik für mehr Kinderfreundlichkeit", sagt Sven Iversen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen (AGF) mit Sitz in Berlin. Seit Mai läuft die Aktion mit Plakaten, Unterschriftensammlung, einer Fragebogenaktion bei allen Bundestagsabgeordneten und im Internet. Dazu kooperieren die AGF, der Bekleidungshersteller JAKO-O GmbH, das Deutsche Kinderhilfswerk und das Zukunftsforum Berlin. Die Mehrwertsteuer sei familienblind, das müsse dringend geändert werden, fordert Iversen.
Die Regierung handelt nicht
Reformbedarf sieht auch die Bundesregierung, doch kommt sie mit ihren Plänen nicht voran. Laut Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 soll eine Kommission Vorschläge zur Reform des unübersichtlich gewordenen Systems der Umsatzsteuer machen. Aber: Die berufenen Experten haben ihre Beratungen noch gar nicht begonnen. "Wir harren eines Termins", heißt es dazu im Bundesfinanzministerium. Dabei geht es um viel Geld: Dem Fiskus entgehen durch die reduzierte Mehrwertsteuer etwa auf Lebensmittel, Bücher, Kulturveranstaltungen und die Leistungen im öffentlichen Personenverkehr jedes Jahr rund 23 Milliarden Euro.
Die Debatte über die Zukunft des Umsatzsteuerrechts wogt hin und her. Zuletzt meldeten sich im Februar zehn Finanzexperten zu Wort. Sie forderten ein "klares und nachvollziehbares Steuersystem, das auf unzählige Ausnahmen und Vergünstigungen verzichtet" - und damit das Gegenteil dessen, was dem Bündnis um die AGF vorschwebt: Der Zusammenschluss fordert, mehr und nicht weniger Waren dem reduzierten Steuersatz zu unterwerfen.
Nur Lebensmittel reduziert?
Der Bundesrechnungshof riet der Regierung bereits im Juni 2010, den Steuerdschungel zu lichten und den Katalog der Waren zu überprüfen, auf die nur der ermäßigte Steuersatz erhoben wird. Noch deutlicher wird ein Gutachten im Auftrag des Bundesfinanzministeriums vom September vergangenen Jahres. Dessen Autoren wollen die reduzierte Steuer nur auf Lebensmittel beibehalten.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW) in Berlin lehnt das vollständige Aus des ermäßigten Steuersatzes ab. Geringverdiener würden dadurch dreimal so stark belastet wie Spitzenverdiener. Die Folge: Für die unteren Einkommensgruppen müssten neue, steuerfinanzierte Sozialtransfers erfolgen.
"Würde die Politik dieser Empfehlung folgen, müssten zahlreiche lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen höher besteuert werden", sagte Reiner Holznagel, Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler, dem epd. Diese Reform würde Steuerzahler höher belasten: "Schon deshalb lehnt der Bund der Steuerzahler solche Pläne ab."
Ende der Vertröstungen angemahnt
Familienexperte Iversen hält einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz für "politisch nicht durchsetzbar", zumal die deutsche Steuergesetzgebung auch EU-Vorgaben beachten müsse. Statt immer wieder auf die "große Steuerreform" zu vertrösten, solle die Bundesregierung das Machbare realisieren und Produkte für Kinder verbilligen. Eltern könnten allein bei der Erstausstattung ihres Babys ungefähr 200 Euro sparen. Die Ausgaben für Bekleidung und Schuhe könnten um bis zu 60 Euro pro Jahr sinken.
Eine niedrigere Mehrwertsteuer für alle von Kindern benötigten Waren sei bezahlbar, versichert Iversen: Eigenen Berechnungen zufolge entgingen dem Fiskus jährlich knapp eine Milliarde Euro. Zum Vergleich: Die Mehrwertsteuer spült jedes Jahr 180 Milliarden Euro in die Staatskasse.