Auf protestantischer Entdeckungstour durch Paris
Eigentlich ist Frankreich - und somit auch die Hauptstadt des Landes - streng katholisch. Wer sich jedoch in Paris mit Hilfe des evangelischen Begegnungszentrums "Le Pont" auf die Suche macht, kann in der Metropole protestantische Bauwerke bewundern und gleichzeitig viel über die Geschichte der Reliogionen in Frankreich lernen - zum Beispiel über die "Bartholomäusnacht". Gleichzeitig ist die Stadtführung hochaktuell - denn noch immer fällt es schwer, religiöse Minderheiten in eine Gesellschaft zu integrieren.
15.08.2011
Von Joachim Gerhardt

Es war die Nacht zum 24. August 1572, als es auf dem Höhepunkt der Religionskriege in Paris zu einem Massaker kam. 3.000 Hugenotten fielen innerhalb weniger Stunden dem Gemetzel zum Opfer, viele in den Straßen um die Rue Visconti im Zentrum der Stadt. Den Schergen der Gegenreformation war es ein Leichtes, die engen Straßen mit Wällen zu schließen, die den Menschen keine Chance zur Flucht ließen. Das Abschlachten breitete sich rasch über Frankreich aus und ging als "Bartholomäusnacht" in die Geschichtsbücher ein.

"Diese Nacht ist ein Trauma für Frankreich", erzählt Kristine Biastoch, Führerin des evangelischen Begegnungszentrums "Le Pont" (Die Brücke). Seit zehn Jahren bietet das Zentrum die Stadtführung "Protestantisches Paris" an. Stadtführerin Biastoch nennt die Nacht ein "Sinnbild für die Unfähigkeit, religiöse Minderheiten in eine Gesellschaft zu integrieren". Der Protestantismus sei aber inzwischen Teil der französischen Gesellschaft. Wenn außerhalb der Kerngebiete Elsass und Lothringen auch nur ein kleiner. In Frankreich leben heute rund eine Million Menschen evangelischen Glaubens.

Ihre Wurzeln liegen unter dem Pflaster in der Rue Visconti. Hier wurde 1555 die erste reformierte Taufe gefeiert und gründete sich vier Jahre später in einer "Nationalen Synode" die reformierte Kirche in Frankreich. Heimlich natürlich. Davon zeugen die erhaltenen Kellergewölbe, die unter der Straße miteinander verbunden sind und geheime Treffen möglich machten.

Protestantische Spuren sind in Paris oft erst auf den zweiten Blick zu entdecken

Der Kellerabstieg ist ein Höhepunkt der Führung zu den protestantischen Spuren in Paris. Start für den Rundgang ist die Kirche Saint-Germain-des-Prés. Die älteste Kirche von Paris von 1163 gilt als die Wiege reformatorischer Ideen in Frankreich. Deren Abt Guillaume Briconnet versammelte Anfang des 16. Jahrhunderts ambitionierte Theologen und Humanisten. Wohl schon kurz bevor Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, entstand hier eine Fassung auf Französisch.

Protestantische Spuren sind in Paris oft erst auf den zweiten Blick zu entdecken. Das ist typisch. Denn als 1598 der aus Staatsraison zum Katholizismus konvertierte König Heinrich IV. das Edikt von Nantes erließ, das den calvinistischen Protestanten religiöse Toleranz und Bürgerrechte gewährte, galt es überall in Frankreich - nur nicht in Paris.

Das ist bis heute zu spüren: Frankreich und zuvorderst seine Metropole sind tief katholisch durchdrungen, mehr als es der vordergründig so laizistische Staat erwarten lässt. Schon 1685 wurde das Edikt von Nantes von König Ludwig XIV. widerrufen. Hunderttausende Hugenotten flüchteten außer Landes, unter anderem nach Preußen. Bis zur Herrschaft Napoleons überlebten Protestanten in Frankreich nur im Untergrund.

Paris ist tief katholisch durchdrungen, mehr als die Stadt erwarten lässt

Umso überraschender ist es, wie viele evangelische Künstler und Baumeister sich im 16. und 17. Jahrhundert am und rund um den Louvre verewigt haben. Am schönsten in Form der ersten Eisenbrücke über die Seine, die "Pont des Arts" von 1804, ein Werk des protestantischen Ingenieurs Demontier. Der Fußgängerübergang von St. Germain-des-Prés zum Louvre ist heute vor allem zu Vollmondnächten Treffpunkt junger und junggebliebener Liebender.

Die Führung durch das protestantische Paris schließt am Louvre. Dort hält Admiral Gaspard de Coligny die Wacht, ein hochdotierter Militärstratege im Kampf gegen die Habsburger. Aber eben auch Hugenottenführer. Er gilt als eines der ersten Opfer der Bartholomäusnacht. Ein schmuckes Ehrenmal wurde 1889 mit Spenden aus der Bürgerschaft errichtet, erzählt Stadtführerin Biastoch und kann damit doch versöhnlich enden: Einen guten Teil des Geldes für diese Gedenkstätte stifteten katholische Bürger.

epd