Diskussion: Sind Krawalle auch in Deutschland möglich?
Angesichts der Jugendkrawalle in England diskutieren Experten und Politiker über die Gefahr sozialer Unruhen in Deutschland. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht derzeit keine Anzeichen dafür, dass es in deutschen Großstädten zu ähnlichen Ausschreitungen kommen könnte. Sozialverbände warnten dagegen, dass wachsende Armut auch in der Bundesrepublik zu Unruhen führen könnte.

Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch) sagte Friedrich, die soziale Integration in Deutschland sei in den vergangenen Jahren sehr gut vorangekommen. Der Minister erklärte, Deutschland habe den Konsens erreicht, dass Gewalt gegen unbeteiligte Personen kein Mittel sei, mit dem man seine politischen oder sonstigen Ansichten durchsetze. "Diesen Konsens aufrechtzuerhalten und auf die Jugendlichen zu übertragen, bleibt die Erziehungsaufgabe unserer Gesellschaft, von allen Lehrern, Eltern und Vereinen", unterstrich der CSU-Politiker.

In Großbritannien war es laut Medienberichten in der Nacht zum Mittwoch erneut zu massiven Ausschreitungen gekommen. Während es in der Hauptstadt London weitgehend ruhig blieb, lieferten sich in Manchester Jugendliche heftige Straßenschlachten mit der Polizei.

Die Nationale Armutskonferenz (NAK) bezeichnete die Ausschreitungen als alarmierend und verwies auf hohe Arbeitslosigkeit, verbreitete Armut und marode Infrastruktur als mögliche Ursachen. "Diesen verheerenden Kreislauf gibt es zumindest ansatzweise auf der ganzen Welt", sagte NAK-Sprecher Thomas Beyer in Berlin. Auch in Deutschland suchten immer mehr junge Bedürftige Anlaufstellen wie die Bahnhofsmissionen auf. Jungen Menschen müssten Perspektiven durch Schulabschlüsse und Ausbildungsplätze geboten werden.

Polizeigewerkschaft: Die "hochexplosive Mischung" ist auch in Deutschland vorhanden

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der "Bild"-Zeitung, die Ausschreitungen in England seien das Ergebnis krimineller Energie und Verachtung gegenüber dem Staat sowie der sozialen Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsschichten.
Diese "hochexplosive Mischung" sei auch in Deutschland vorhanden. Beispiele dafür seien die Krawalle zum 1. Mai in Berlin und Hamburg, sagte Wendt der "Bild"-Zeitung (Mittwochsausgabe). Auch dort nutzten Randalierer moderne Kommunikationsmittel, um schnell die Orte der Demonstrationen zu wechseln.

Auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) warnte vor möglichen Krawallen in Deutschland. Bis zu zwei Millionen deutsche Jugendliche und junge Erwachsene seien arm, arbeitslos und perspektivlos. Daher müssten die Krawalle in England ein "Signalfeuer im Kampf gegen die Armut" sein. Der Kriminologe Christian Pfeiffer sieht dagegen keine Parallelen zwischen England und Deutschland. England sei schon immer ein Land der sozialen Gegensätze gewesen: "Großbritannien hat eine ausgeprägte Gewinner-Verlier-Kultur", sagte Pfeiffer der hannoverschen "Neuen Presse" (Mittwochsausgabe). Besonders in den Großstädten hätten sich Gangs gebildet, die nicht mehr hinreichend unter Polizeikontrolle stünden. In den Gewaltorgien werde eine tiefgewachsene Unterschichtsstruktur deutlich.

Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer sagte, die Krawalle in England ließen sich nicht durch ein höheres Polizeiaufgebot lösen. "Es ist ein völliger Irrtum zu glauben, dass der Abbau sozialer Sicherung durch den Aufbau öffentlicher Sicherheit ausgeglichen werden kann", sagte Heitmeyer dem epd. Großbritannien habe eine fatale Wirtschaftspolitik betrieben, in dem es vor allem auf die Finanzmärkte gesetzt habe. Hingegen fehle eine moderne Industriepolitik, die auch gering qualifizierte Menschen integrieren könnte.

epd